OK, ich gebe zu, die Überschrift ist vielleicht etwas übertrieben geraten. Selbstverständlich produzieren auch Großkonzerne laufend Innovationen. Das Lehrbuchbeispiel für Innovations-Management ist zum Beispiel Procter&Gamble – wirklich kein kleiner Laden. Und die Deutsche Telekom hat sich erst kürzlich wieder einen Innovationsvorstand zugelegt. Der heisst Edward Kozel und will Innovationen in Zukunft vermehrt einkaufen wie die WELT berichtet. In der Vergangenheit hat das der T-Konzern primär intern versucht. Mit überschaubarem Erfolg.
Das Innovationen einem Unternehmen einem Unternehmen gut tun, steht außer Zweifel. Hier der Apple-Aktienkurs der letzten 10 Jahre. Zum Vergleich daneben/darunter der der Telekom. Spannend ist dabei nicht die absolute Höhe sondern der langfristige Trend:

So richtige „game changer“, die heute stets gesuchten radikalen, disruptiven Innovationen, kommen selten von Großunternehmen. Eine Ausnahme ist Apple. Viele andere Großunternehmen haben zunächst mit einer bahnbrechenden Innovation begonnen. Aber dann war meistens Schluss. Auch erfolgreiche Hightech-Unternehmen der Software- und Hardware-Branche, die regelmäßig mit neuen Produkten auf den Markt kommen, kopieren dabei meist nur noch die echten Innovationen kleiner Unternehmen und Startups. Das Microsoft so arbeitet, wird oft kolportiert. Die Entwicklung des Aktienkurses von Microsoft sieht übrigens ähnlich aus wie die der Telekom. Aber selbst Google bekommt’s nicht viel besser hin (siehe unten)
Woran liegt das eigentlich?

Kann man Innovation institutionalisieren?
Das fragen sich selbstverständlich auch diese Großunternehmen (die öffentlich vehement verneinen werden, dass aus ihrem Haus keine Innovationen kommen). Denn Innovation ist in den schnelllebigen Märkten des dritten Jahrtausends ein absolutes Muss für nachhaltiges Wachstum; vermutlich sogar notwendig für den Erhalt des Status Quo. Deswegen versucht das Management in diesen Firmen selbstverständlich, Innovationen zu fördern und den Innovationsprozeß zu institutionalisieren (siehe den „Innovationsvorstand“ der Telekom). Klappt das? Einfach scheint es zumindest nicht zu sein, selbst, wenn man viel Geld und viele hochintelligente Mitarbeiter hat.
Eines der großen Unternehmen, die viel für Innovation tun (und das zudem in einer sehr innovationshungrigen Branche arbeitet), ist Google. Das hat viele gute Gründe. Google ist noch sehr jung. Das Unternehmen ist innerhalb von nicht einmal 12 Jahren von einer Garagenfirma zu einem der wertvollsten Unternehmen der Welt gewachsen. So etwas geht nur mit einer grundlegenden – oft disruptiven – Innovation. Tatsächlich war Googles Ansatz für die Suche im Web hochinnovativ.
Googles Strategie für Innovationen
Was Google weiterhin den Ruf eines innovativen Unternehmens verschafft, ist die legendäre 20%-Zeit. Alle Mitarbeiter haben das Recht, 20% ihrer bezahlten Arbeitszeit an beliebigen, von ihnen selbst definierten Projekten zu arbeiten. Viele der Google-Projekte aus den letzten 8 Jahren sind ursprünglich in dieser 20%-Zeit entstanden. Auch diese Projekte tragen zum Ruf der Innovativität bei. Es gibt Monate, da stellt Google zwei, drei oder mehr neue Internet-Plattformen oder deutliche Verbesserungen bestehender Produkte vor. Innovation steht auf der Agenda des Top-Managements von Google ganz oben. Siehe dazu den hochinteressanten Beitrag von FastCompany zu Marissa Mayer's 9 Principles of Innovation.
Ich will hier nicht alle dieser 9 Principles auflisten, aber doch ein paar zitieren, die auch Klassiker für die Förderung der Innovationskultur in Unternehmen sind:
- Innovation, not instant perfection – Das Neue muss nicht perfekt sein, um an die Öffentlichkeit zu gehen. Oder anders: Launch early!
- Ideas come from everywhere – Zu einer Innovation kann jeder beitragen: jeder im Unternehmen, jeder Kunde, Lieferant, Geschäftspartner etc. – nicht nur die Mitarbeiter in der F&E Abteilung.
- Morph projects, don’t kill them – Wenn eine Innovation nicht gleich erfolgreich am Markt ist, muss man ein solches Projekt nicht gleich killen. Eventuell steckt ein wertvoller Kern drin, der für andere Projekte oder andere Anwender nützlich ist.
- Share as much information as you can – Innovationen entstehen nur selten im stillen Kämmerlein. Und selbst, wenn sie einem einzigen Hirn entspringen, sind die Beiträge anderer oft wichtig für die Optimierung, um aus einer Idee ein marktgängiges Produkt zum machen.
Und doch, trotz dieser Prinzipien und einer sicherlich innovationsfreundlichen Firmenkultur ... abgesehen von der ursprünglichen Suchmaschine und dem darauf basierenden Werbenetzwerk, der Email-Plattform GMail und dem Handy-Betriebssystem Android gibt es nicht sehr viele erfolgreiche „Erfindungen“ von Google. Tatsächlich verdient Google sein Geld bis zum heutigen Tag nahezu zu 100% mit Werbung, die über die marktführende Suchmaschine und die Google-Anzeigennetzwerke AdWords und DoubleClick geschaltet werden. Alle anderen Einnahmequellen kann man völlig vernachlässigen. Viele der neuen Produkte und Plattformen, die Google in den vergangenen Jahren gelauncht hat, waren entweder völlige Fehlschläge oder nur mit sehr bescheidenem Markterfolg gesegnet. Man denke nur an Wave, Buzz, Orkut etc.
In der gleichen Zeit sind von jungen, innovativen (sic) Startups Plattformen wie Twitter, Facebook, Foursquare, GroupOn, Instagr.am etc. entstanden. Zwei dieser Plattformen sind in aller Munde und haben innerhalb weniger Jahre zig Millionen oder gar hunderte von Millionen von Anwendern gefunden. Es sind Anwendung, die auf den selben Technologien basieren wie die erfolgreiche Google-Software; ein Umfeld, das man im Hause eigentlich in- und auswendig kennen sollte.
Warum klappts trotzdem nicht?
Oder, vielleicht noch relevanter:
Ist Google wirklich wegen seiner Innovativität erfolgreich?
Ich meine, ja, aber ...
Das „aber“ bedeutet, dass Google laufend Innovationen produziert, aber so, wie das Unternehmen heute dasteht, vermutlich keine wirklich disruptiven Innovationen mehr hervorbringen kann. Das sind Innovationen, wie sie Venture-Capital-Geber lieben: Innovationen, die neue Märkte schaffen, bestehende aufrollen, Geschäftsmodelle vernichten und neue aufbauen. Der Buchdruck war sicherlich eine solche, disruptive Innovation, das Automobil, Telegraph und Telephon genauso. Für die Kommunikation war in jüngster Zeit die Email bestimmt eine (man frage einmal die Deutsche Post) und bei den Internet-Services Plattformen wie eBay, Craigs List, Facebook und viele, viele andere, kleinere. Ein Klassiker ist sicherlich auch iPod + iTunes (wer diese Kombination nicht für eine disruptive Innovation hält, rede einfach mal mit Vertretern der Musikindustrie).
Wobei das letzte Beispiel eine Ausnahme ist oder zu sein scheint: Apple war zu dem Zeitpunkt, als der iPod entwickelt wurde, bereits ein Großunternehmen. Dazu aber später mehr.
Warum Google (und andere) sich mit Innovationen schwer tun
Der Anlass, mir über diese Fragen einmal wieder Gedanken zu machen, war ein Artikel von Robert Scoble im Business Insider - Internally, Google Knows It Has An Innovation Problem. Scobles Analyse ist teilweise treffend, aber auch konfus. Er vermischt Google-spezifische Probleme mit grundsätzlichen. Und er denkt natürlich in der typischen amerikanischen VC-Kultur, die so in Europa nicht existiert. Aber die Tendenz der Aussagen stimmt. Ich will trotzdem etwas grundsätzlicher an die Frage herangehen.
Was es grundsätzlich für Großunternehmen so schwer macht, mit disruptiven Innovationen daher zu kommen, hat viele Ursachen. Sie alle lassen sich aber auf drei Faktoren zurückführen
- Viele Köche
- Regeln, Vorgaben und Bürokratie
- Angst vor Disruptionen
Viele Köche
Die meisten bahnbrechenden Innovationen waren erstens radikal und sind zweitens in eher kleinen Teams entstanden. Sobald mehr Leute dazu kommen, werden radikale Ideen fast immer verwässert. Bedenken tauchen auf. Die klare Vision verliert Fokus. Bei Produkten/Services entstehen Feature-Monster ohne spitzen USP. In Großunternehmen ist es aber selten zu vermeiden, dass die Teams größer werden – besonders, wenn irgendwo ein innovatives, viel versprechendes Projekt entsteht, mit dessen Erfolg sich andere schmücken wollen.
Regeln, Vorgaben und Bürokratie
Etablierte Unternehmen haben Regeln, die für das laufende Geschäft, Projekte und Produkte des Hauses einzuhalten sind. Regeln, was man berücksichtigen muss, was (angeblich) zum Unternehmen passt, wer zu fragen ist und was man auf keinen Fall machen darf. Diese Regeln existieren immer, ob geschrieben oder ungeschrieben. Sie schränken nicht nur den Handlungsspielraum ein und verlangsamen Entwicklungsprozesse. Sie schaffen auch – bewusst oder unbewusst – Denkverbote. Und sie sind ein hervorragendes Werkzeug der Unternehmenspolitik. Mit Regeln kann man unerwünschte Projekte abschießen oder missliebige Kollegen ausbremsen. Motivation dafür gibt es genug. Jedes neue Projekt eines Anderen konkurriert ja um die selben Ressourcen (u.a. Zeit, Geld, Manpower und Aufmerksamkeit des Top-Managements) von denen ich selber mehr möchte ...
Angst vor der „Disruption“
Wenn wir mal ganz ehrlich sind ... wieso sollte ein Unternehmen, dass ein erfolgreiches Geschäftsmodell verfolgt, überhaupt nach disruptiven Innovationen suchen? Diese beinhalten ja auch die Gefahr, das eigene Geschäftsmodell zu gefährden.
Wieso hätte ein Top-Manager in der Musikindustrie vor 10 oder 12 Jahren Zeit und Geld in alternative Formen für die Vermarktung und Distribution von Musik stecken sollen. Er hatte doch ein erfolgreiches Geschäft. Investitionen in neue Ideen, deren Erfolg nicht gesichert ist, hätten doch nur die Licensing- und Marketing-Etats für das laufende Geschäft reduziert und vermutlich die Jahres- und Quartalsergebnisse verhagelt.
Aus heutiger Sicht könnte man sagen: natürlich hätte er das tun MÜSSEN, weil es sonst andere tun. Aber .. hinterher ist man immer schlauer. Und damals hätten ihn erst die Finanzpresse und dann die Aktionäre gegrillt und danach sein Aufsichtsrat gefeuert.
Faustregel: Bei einem Startup wollen Investoren Innovationen, auch disruptive Innovationen, sehen. Bei einem etablierten Großunternehmen wollen sie ordentliche Quartalszahlen und eine verlässliche Planung sehen.
Und damit kommen wir zum Abschluss zur Ausnahme Apple – die selbstverständlich die Regel bestätigt ;-) Apple ist ein etabliertes Großunternehmen (tatsächlich eines der Unternehmen mit dem höchsten Börsenwert der Welt). Es hat etablierte und erfolgreiche Produkte am Markt. Und doch wirft das Unternehmen immer wieder Innovationen auf den Markt, die im besten Sinne des Wortes disruptiv sind. Produkte, die riskant sind. Zumindest so riskant, dass vor dem Marktstart viele kluge Leute mit guten Gründen einen gewaltigen Flop prophezeien. (Wer’s nicht glaubt, möge nach den Einschätzungen der Experten googlen, als iPod, iPhone und iPad gerade frisch auf den Markt gekommen waren).
Was macht Apple anders?
Es ist nicht leicht, alle Erfolgsfaktoren des „Prinzip Apple“ (oder vielleicht des „Prinzip Jobs“) herauszufinden – obwohl das im Moment viele versuchen und viele behaupten, es schon erfolgreich getan zu haben. Dazu ist das Unternehmen aber viel zu verschlossen – und die Suche nach dem Erfolg sind zu sehr auf die charismatische Person Steve Jobs fokussiert. Der allein ist es aber nicht. Jobs ist aber sicherlich derjenige, der diese Erfolgsprinzipien installiert hat.
Ganz oberflächlich betrachtet kann man – zumindest einen Teil – von Apples Erfolgsprinzip auf einen kurzen Nenner bringen: Apple arbeitet teilweise wie ein Startup.
Fokus auf das Wesentliche: Apple Produkte, gerade in der ersten Version, zeichnen sich durch Weglassen aus, nicht durch lange Feature-Listen. Produktmanager anderer Unternehmen würden bei diesem Ansatz wahnsinnig werden. Bringt nicht jedes zusätzliche Feature weitere Käufer? Nein! :)
Kleine Teams: Es ist schwierig, darüber verlässliche Informationen zu bekommen, aber nach allem, was darüber zu hören ist, hält Apple seine Produktteams so klein wie nur irgendwie möglich. Einzelne Softwareprodukte werden zum Beispiel von Teams von zwei, drei, manchmal nur einer Person entwickelt (Siehe Apple is run like a huge startup von Sachi Agarwal, einem ehemaligen Entwickler bei Apple).
Glaube an die Vision: Der Chef ist ein starrköpfiger (und arroganter) Visionär, der unbeirrt an das glaubt, was er einmal angefangen hat. Er lässt sich davon auch durch Kritik von „Experten“ nicht davon abbringen. Auch nicht durch Marktforschung. (SieheInnovation und die Grenzen der Marktforschung). Das ist einer der größten Unterschiede zu Google. Bei Google zählt “Messen und Testen“ oder, wie Marissa Meyer es nennt: Data is apolitical. Stimmt, aber durch Messen kann man lediglich verbessern, was es schon gibt.
Bereitschaft zum Risiko: Neue Produkt-Kategorien werden bei Apple oft unter großem Risiko auf den Markt gebracht. Das mag nicht jeder Aussenstende so sehen. Tatsächlich ist aber nicht garantiert, dass ein neues Produkt ein Erfolg wird – auch nicht bei Apple. Es gab auch Newton, Lisa und ein paar andere, heute gnädig in Vergessenheit geratene Flops. Und der Aufwand für die Produktentwicklung ist immer gewaltig. Inzwischen hat Apple zwar ein extrem gut gefülltes Konto. Das war aber nicht immer so. Wären iPod oder iPhone Flops geworden, hätte das dem Unternehmen dramatisch die Zahlen verhagelt.
Nicht, dass Missverständnisse aufkommen: Ich glaube nicht, dass Steve Jobs die wichtigsten neuen Produkte, die Apple in den letzten 10 Jahren auf den Markt gebracht hat, persönlich entwickelt oder auch nur die Idee dazu hatte. Das ist auch völlig irrelevant. Er sorgt dafür, dass das Unternehmen bei der Produktentwicklung in einigen wichtigen Punkten wir ein Startup agiert. Das ist riskant. Aber es bringt echte, radikale Innovationen hervor.
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