Gestern Abend hatte ich Besuch von einem Menschen, der sich unser Haus ansehen wollte. Extrem (betont) freundlich und guter Dinge. Erst geplaudert, dann kleine Hausführung und so. Zuletzt saß ich mit ihm allein am Küchentisch (meine Liebste verfrachtete unseren Sohnemann ins Bett) und die Konversation schleppte sich etwas dahin. Was macht der schüchterne Westfale? Er erkundigt sich mal nach dem beruflichen Tun. Oh, da wurde er wieder gesprächig. Ja, eigentlich fest angestellt bei einem größeren örtlichen Hardwareproduzenten in der Softwareentwicklung aber viel spannender wäre ja seine Nebentätigkeit, die er gerne mehr ausbauen wollte, weil viel spannender und lukrativer.
Höflich erkundige ich mich, was er denn da so treibe und bekomme eine Gegenfrage gestellt. Ob ich denn Steuern zahlen würde.
"Klar" sag ich "und zwar gerne!"
Er lächelt mich an. Das würde ich doch wohl nicht ernst meinen?!
„Doch“ sag ich „warum nicht? Steuern sind doch sinnvoll. Und ich verdiene viel. Wenn nicht Leute wie ich, werr soll dann überhaupt Steuern zahlen!“
Nu wird er richtig rot und scheint irgendwie peinlich berührt. „Ja, aber wofür alles Steuern verwendet werden.“ Das könne ich doch nicht alles befürworten, oder?!
"Jo" sag ich, "Schwund ist immer. Aber wenn ich dran denke, was es mich – und andere, die weniger Geld haben – kosten würde, die Kita für unseren Sohn selbst zu bezahlen. Und Strassen zu pflastern hab’ ich auch keine Lust. Das sollen die mal besser von meinen Steuern machen. Und wenn alle nur noch Steuern sparen, müsste das ja jeder selbst bezahlen."
"Ääh, ja, öh ..." irgendwie hätt’ ich ja vielleicht auch schon recht, meint er da. Aber er sähe das schon anders und alle anderen, mit denen er so spräche, auch. Und "klar, könnt’ ich so sehen" aber er würde den Leuten auf jeden Fall dabei helfen, Steuern zu sparen. "Alles ganz legal! Keine Versicherungen. Kapitalanlagen!"
Auf jeden Fall wurde das Gespräch ab diesem Zeitpunkt etwas trocken, und schleppte sich zäh dahin, obwohl ich meinen ganzen ostwestfälischen Charme spielen lies.
Erst als er zur Tür raus ging, wurde mir klar "Der wollte mir wirklich gerne was andrehen" (Manchmal bin ich ein bisschen langsam in dieser Hinsicht) und endlich verstand ich, wozu er den ganzen Abend seine schicke lederne Aktemappe ungeöffnet mit sich herumschleppte. Waren vermutlich "die Unterlagen" drin. Habe ihm zum Abschied viel Erfolg gewünscht. Aber ich glaube, ich habe dem armen Mann wirklich einen Schock fürs Leben verpasst. Denke aber nicht, dass er die Taktik seiner Kundenansprache daraufhin ändern wird.
BTW: Keine Realsatire. Ist exakt so passiert. Und, ja, ich mein’ das tatsächlich ernst ...
Schon cool unser Steuersystem. Clevere Kombination von hohen (nominalen) Steuersätzen mit Hunderten von Sonderregeln für die "Einzelfallgerechtigkeit" und Subventionen für diese und jene Interessengruppe. Da verdienen leutselige Verkäufertypen, die genügend Intelligenz und soziale Kompetenz ihr eigen nennen, um auch einer produktiven Tätigkeit nachgehen zu können, ihr Geld damit, Menschen, die reichlich Geld haben, dabei zu unterstützen, "Steuern zu sparen". Den selben Menschen, die sich bei nächster Gelegenheit furchtbar drüber aufregen, wenn wieder irgendwo an der Steuerschraube gedreht wird – um trotz all der "Steuersparer" genug zusammen zu bekommen, um die Ansprüche des Wahlvolks einigermaßen befriedigen zu können.
Ein wunderbares Beispiel der inneren Faeule unserer Gesellschaft. Anstatt die Gesellschaft so gut man kann zu unterstuetzen, greift man lieber so viel wie man nur zwischen seine gierigen Finger bekommt. Was viele Menschen leider nicht begreifen ist, dass der Erfolg einer Gesellschaft/Gemeinschaft vom Enthusiasmus und der Beitragswilligkeit der Mitglieder abhaengt. Da diese Faktoren in unserer Gesellschaft ja groesstenteils vernachlaessigt werden bzw. die einzelnen Individuen die Gesellschaft nur als Absprungsplattform zu ihrem eigenen Glueck sehen und nicht als dass was sie eigentlich darstellen sollte, naemlich eine Gemeinschaft die das einzelne Mitglied durch die aufgeteilten Kosten der Allgemeinheit unterstuetzt.
Ist unsere jetzige Gesellschaftsform deswegen zum Untergang verurteilt? ich habe mir diese Frage die letzten Tage sehr oft gestellt. Villeicht werde ich mir zu dem Thema in den naechsten Tagen noch ein paar Buecher besorgen.
mfG
Lukas
Posted by: Lukas Vidoni | Tuesday, 15 March 2005 at 03:12
Hmm...
Bin erst gerade auf diesen Beitrag aufmerksam geworden und wundere mich schon sehr, denn was Du hier schreibst, passt überhaupt nicht zu Dir, da es nach purer Verantwortungslosigkeit und nicht - wie wahrscheinlich intendiert - genau dem Gegenteil klingt:
+++ "Jo" sag ich, "Schwund ist immer. Aber wenn ich dran denke, was es mich – und andere, die weniger Geld haben – kosten würde, die Kita für unseren Sohn selbst zu bezahlen. Und Strassen zu pflastern hab’ ich auch keine Lust. Das sollen die mal besser von meinen Steuern machen. Und wenn alle nur noch Steuern sparen, müsste das ja jeder selbst bezahlen." +++
Ich glaube kaum, dass Du Dich geschäftlich oder privat in Finanzfragen so verhälst. Wieso also ausgerechnet auf der gesellschaftlichen Ebene?
"Steuern" (ich verstehe darunter grundsätzlich auch alle anderen vom Staat per Zwang vom Bürger eingeforderten Finanztransfers) sind nicht nur sinnvoll, sondern schlicht erforderlich, ja.
Wenn aber jährlich etwa 1 Billion Euro über Steuern und andere Wege akkumuliert und wieder verteilt werden, (äußerst umstritten hohe) Mengen bei diesem Prozess schlicht "verloren" gehen (also ineffektiv und/oder ineffizient genutzt werden) und dies bei "nur" 2 Billionen Euro volkwirtschaftlichem "Umsatz", müsstest Du zwar nicht zwangsläufig "Steuern sparen" aber sehr wohl Kontrolle ausüben wollen.
Die Haltung: "Ich will nicht pflastern, das sollen mal die anderen machen", spricht entweder für einen - für Dich persönlich - erzielten Überschuss (sonst Mehrkosten bei Zahlung der inanspruch genommenen Leistungen) oder tatsächlich reiner Verantwortungslosigkeit in *eigenen* Angelegenheiten. Beides erscheint mir nicht zutreffend, insofern meine Verwunderung. Deine "Mir-doch-egal-Haltung" kann ich jedenfalls nicht nachvollziehen.
Posted by: Gerrit | Tuesday, 17 October 2006 at 13:43