Zu den typischen Wachstumsschmerzen einer neuen Technologie gehören scheinbar die "wir werden verraten"-Gefühle der Early Adopter. Eine relativ kleine, verschworene Gemeinde sieht auf einmal, wie die bösen Geldmacher auftauchen. Die in der Clique zuvor ehrfürchtig bestaunten Pioniere spielen keine große Rolle mehr, PR-Künstler ernennen sich zu den "wahren Pionieren". Als Innovationen werden auf einmal nicht mehr Produktverbesserungen bestaunt sondern "Big Deals", neue Geschäftsmodelle etc.
Läßt sich aktuell sehr schön in der Blogosphere beobachten - wenn auch erst in den Anfängen, das dicke Ende kommt noch, Leute! Schöne Dokumentation zu dem Thema ist zum Beispiel die Geschichte von UBlog in Frankreich, jetzt Teil von SixApart, der Firma hinter Typepad und Movable Type bei Stephanie Boot: U-Blog, Six Apart, and Their Angry Bloggers. Wer das liest, kann verstehen, warum ein Strahlemann wie Loic Le Meur in Frankreich nicht von allen Bloggern geliebt wird.
Ein paar Detail-Überlegungen zur Relevanz für die deutsche Blogosphere, Typepad.de, myBlog.de, 20Six, gesunden Geschäftstrieb und die verletzte Eitelkeit der Blogging-Pioniere ...
Was Stephanie Boot beschreibt, ist nichts Frankotypisches. Wer weiß, vielleicht wird in Deutschland (Markteintritt von Typepad gestern: TypePad goes Bratwurst) ähnliches passieren. Hoffentlich mit nicht ganz so viel gallischer (dann germanischer) Amerikanophobie wie in Frankreich. Franzosen sind da scheinbar schon recht "eigen".
Eine schöne, sachlich-nüchterne Betrachtung zu dem Thema gibt's beim Aardvark: From community to business.
The question here is not really as to how much Loïc Le Meur is to blame (actually, I don't think he is, as far as I can see he is merely acting like a businessman), but rather how comfortable we feel about the fact that weblogging is turning from a community phenomenon into a business.Aber genau das ist, wie Bruce Hornsby mal so schön getextet hat, "That's the way it is". Man mag es bejammern, mag es beklagen. Ändern wird es nichts. Wächst "die Community" über eine gewisse Größe hinaus, sind die ökonomischen Grundlagen (ja, auch eine Community, in der Geld keine Rolle spielt, hat ökonomische Grundlagen) auf einmal ganz andere. Ein naheliegender Lösungsansatz (tested and proven) für diese Herausforderung ist die Kommerzialisierung. (Es mag andere geben; siehe unten) In Deutschland konnte man das ebenfalls sehr schön an der Übernahme von myBlog.de durch 20Six (siehe Weblogs in Deutschland - der Business-Hype beginnt) beobachten. Ein kosten- und werbefreier Blog-Service für ein paar hundert Leute ist eine nette Sache, für ein paar Tausend Leute ist das - wenn die "Kunden" nicht zu anspruchsvoll sind - noch machbar. Bei 10.000 wächst es dem enthusiastischen Gründer über den Kopf.Loïc didn't do anything he wasn't supposed to do — he bought the company, and it's his right to change the terms of use. The interesting thing in the reactions of the webloggers at U-blog really is how they seem to feel that it is them who actually own the company, and how they feel betrayed by the person officially in charge.
But then, they may be forming the community, but they don't own the business. In their perception, however, they were degraded from active citizens to passive customers.
Die kuschelige, nicht-kommerzielle Gemeinschaft der Anfangszeit gibt's genau so wenig zurück, wie die - im Rückblick - schöne Jugendzeit, wenn man erst einmal erwachsen geworden ist. Was nicht heißt, das eine Gemeinschaft von Bloggern nicht auch eine nicht-kommerzielle Plattform aufbauen könnte (Open-Source-Entwicklung; Hosting auf Shared Ressources der Mitglieder etc.). Auch das würde aber die "gute alte Zeit" nicht zurückbringen - und wäre eine Nische in einer großen, kommerziell gewordenen Umwelt!
interessanter text. ich hatte auch immer gedacht, loic hätte ublog selber aufgebaut, jedenfalls wurde das immer so transportiert.
Posted by: Nico | Friday, 23 July 2004 at 09:26
@Nico: Wenn Stephanie's Chronologie stimmt (nicht alles, was in Blogs steht, muss "korrekt" sein), hat Loic auch nie behauptet, UBlog entwickelt/erfunden zu haben. Er hat die Firma "erfunden" (hat allerdings das entsprechende Missverständnis auch nie offensiv korrigiert). Das mag ihm der eine oder andere Gutmensch vorwerfen. Vielleicht ist es "moralisch" auch zweifelhaft gegenüber den "Vater" von UBlog (der Plattform). Tatsächlich ist es bewährte Marketing/PR-Praxis, charismatische Persönlichkeiten aufzubauen und sie als Aushängeschild einer Marke/Firma auch mit Ruhmestaten in Verbindung zu bringen, die sie persönlich nicht vollbracht haben.
Steve Jobs hat weder den Macintosh noch den iPod "erfunden" ...
... war aber sicherlich entscheidend für die Durchsetzung dieser Produkte am Markt und ihre "charismatische" Präsentation.
@Nicole: Ich weiß nicht, ob Loic "an der falschen Stelle" steht. Ich kenne ihn leider nicht (würde das gelegentlich gerne mal ändern). Er ist sicherlich nicht nur ein Großsprecher und Meister der Selbst-PR. Zumindest für mich sieht es so aus, als wäre er auch ein durchaus erfolgreicher Geschäftsmann, der u.a. erfolgreiche internationale Allianzen geknüpft hat.
Was ihm aus Teilen der französischen Blogosphere vorgeworfen wird, ist "lediglich", vielleicht manchmal nicht ganz der integere, nette Kumpel zu sein, als den er sich präsentiert. Das ist gegenüber einem Geschäftsmann nicht zwangsläufig ein schlimmer Vorwurf und sicherlich kein Ausdruck mangelnder Qualifikation für den Job, den er bei UBlog und jetzt bei SixApart macht ...
Posted by: Markus Breuer | Friday, 23 July 2004 at 16:30
Zitat:
"Ein kosten- und werbefreier Blog-Service für ein paar hundert Leute ist eine nette Sache, für ein paar Tausend Leute ist das - wenn die "Kunden" nicht zu anspruchsvoll sind - noch machbar. Bei 10.000 wächst es dem enthusiastischen Gründer über den Kopf."
Dies ist wohl genau das, was im Augenblick Blogg.de technisch passiert. Die Bloggerszene in Deutschland steht klar am Scheideweg: entweder sie professionalisiert sich (in jeder Hinsicht) oder sie wird ganz schnell wieder marginalisiert. Die Business-Hype wird schnell in sich zusammenbrechen, die Rechnungen nicht aufgehen. Was wir brauchen sind Service-Anbieter mit echten Support-Qualitäten!
Posted by: Mario Scheuermann | Saturday, 24 July 2004 at 20:39