Ein Vorwurf, den Advokaten des User Centered Designs (UCD) immer wieder mal hören, ist, dass diese Methodik, die die späteren Anwender einer Website, ihre Erwartungen, Kenntnisse und Fähigkeiten bei der Entwicklung der Websites und Applikationen in den Mittelpunkt stellt, immer nur zu „langweiligen“ Ergebnissen führt. Wirklich „innovative“Lösungen wären nicht mehr mögich, weil alles in der Einheitssoße des „Bekannten und Bewährten“ – halt das, was die Anwender kennen und erwarten – versinkt. Ja, das ist wohl Wahres dran. Innovationen, die den Anwendern unnötig kompliziert oder schlichtweg unverständlich erscheinen, kommen beim UCD nicht mehr durch. Vielleicht sind die meisten davon aber auch nicht so schrecklich sinnvoll?
Peter Mehrholz von Adaptive Path berichtet von einer entsprechenden Podiumsdiskussion auf der DIS2004: Design is Easy; Organizational Politics is Hard. Er berichtet in diesem Zusammenhang sogar von einem absurden Widerspruch, der den Ansatz User centered Design scheinbar völlig diskreditiert:
... in research conducted by User Interface Engineering, where they found that the only correlation they could make between the size of an organization’s UCD/usability practice was mildly inverse to the usability of the site – companies that seemed to invest more in usability actually had marginally worse products.Das halte ich gar nicht für unplausibel – aber trotzdem nicht für ein valides Argument gegen Usercentered Design. Im Detail:
Ich denke (und „peterme“ auch), dass das hier beschriebene Phänomen und der kritisierte „Innovationsstau“ wenig mit dem User centered Design an sich zu tun hat, aber sehr viel damit, wie er praktiziert wird. Der Ansatz von Adaptive Path (den ich als Praktiker sehr überzeugend finde) ist es, die Prinzipien des UCD mit jedem Aspekt des Entwicklungsprozesses zu verzahnen und tatsächlich durch die vorhandenen Mitglieder des Entwicklungsteams durchführen zu lassen. Keine „Usability-Experten“, die die Arbeit der Architekten, Designer und Entwickler nachträglich prüfen, bewerten und diese mit dem wissenschaftlich ermittelten User-Feedback ans Reißbett zurück schicken. Sondern Informations-Architekten, Software-Architekten, Designer und Entwickler, die alle „usercentered“ miteinander arbeiten. (siehe u.a. Sind Usability-Labs sinnlos?) Wenn es keine separate Abteilung oder externe Firma ist, die die Arbeit anderer zu „prüfen“ hat, spricht m.E. überhaupt nichts gegen die Möglichkeit, Lösungsansätze zu entwickeln, die „innovativ“ sind – aber von den Anwendern verstanden werden.
Nicht die Methodik ist falsch, sondern (teilweise) ihre Anwendung. Aaron Oppenheimer in einem Statement zu der oben genannten Podiumsdiskussion:
The question is not “Is the business use of UCD shielding
consumers from real innovation?’. The question should be
“Is the misunderstanding and misuse of UCD tools by
business killing useful product ideas?”
Wobei aber auch nicht verleugnet werden kann, dass User centered Design, "vorsichtig" eingesetzt, Lösungen bevorzugt, die auf "Bekanntem und Bewährtem" basieren. Das verstehen die Anwender naturgemäß besser und bewerten es im Zweifelsfall positiver. Das ist aber keine Schwäche der Methodik sondern - wenn überhaupt - eine des menschlichen Gehirns.
Aber angenommen, in einem Entwurfsprozess findet ein Team eine neuartige Lösung für ein altbekanntes Designmuster (wie z.B. den Warenkorb in einem Shop), von der es absolut überzeugt ist, dass sie besser ist als der Warenkorb bei Amazon. Dann werden die Anwender diese Lösung vielleicht zunächst schlechter beurteilen, als die bekannte. Wenn das Team aber wirklich von der neuen Lösung überzeugt ist, weiter an ihr feilt und optimiert, wird sich die Überlegenheit der neuen Lösung auch bei wiederholten Tests mit den Anwendern zeigen, sofern das neue Designmuster wirklich besser ist als das althergebrachte - denn das ist das wirklich entscheidende Kriterium. User centered Design verhindert das nicht - es macht die neuartige Lösung im Zweifelsfall nur besser.
Eine solche Innovation dann wirklich online zu bringen, ist naturgemäß dann aber immer noch ein großes (kaufmännisches) Risiko. Es kann ja sein, dass die Anwender (geprägt durch die hergebrachten Designmuster) das neue ablehnen und gar nicht lange genug damit arbeiten, um seine Vorteile zu erkennen (bevor die entsprechende Firma pleite geht). Dieses Risiko bringt aber fast jede Innovation mit sich. Man nennt es das unternehmerische Risiko.
Ich denke, es ist mehr die Scheu vor diesem Risiko, das Bemühen auf "Nummer sicher" zu gehen, dass das wahre Innovationshemmnis darstellt. Man kann UCD dazu mißbrauchen, dieses Sicherheitsbedürfnis auszuleben - aber auch dazu nutzen, großartige, innovative Lösungen auf den Markt zu bringen, und deren Akzeptanzrisiko zumindest zu minimieren.
Recent Comments