Letzte Woche ging ja eine große Welle durch die deutsche Blogosphäre (u.a. hier, hier und >hier, die sogar bis in die klassischen Medien hinüberschwappte (am sachlichsten vielleicht hier). Die neue Billigzeitung "News" füllt eine ihre Seiten mit Zitaten aus Weblogs. Einige Weblog-Autoren sehen – insbesondere, da das ohne ihre Zustimmung passiert – dadurch ihre Urheberrechte beeinträchtigt, andere finden es „völlig OK“. Auf jeden Fall entbrannte in den Kommentarecken einiger bekannter Weblogs innerhalb weniger Stunden ein extrem heftiger und emotional geführter Streit, bis hin zu persönlichen Beleidigungen aus der untersten Schublade. Mir schien das zunächst sehr schwer nachvollziehbar und irgendwie in die Kategorie „In China ist ein Sack Reis umgefallen. Was nun?“ zu fallen.
Nach Querlesen der erregt geführten Grabenkämpfe und mentalem Ausfiltern der diversen Pöbeleien denke ich aber tatsächlich, dass es wirklich „um Tieferes“ geht. Um was genau? Schwer zu sagen. Es hat auf jeden Fall einerseits mit dem Aufeinanderprallen der klassischen Verlagspublizistik und den "alternativen Publizisten" zu tun. Zum anderen wohl mit der ungeklärten Frage, wie Weblogs im urheberrechtlichen Sinne zu sehen sind. Beides mag dem rein privat ein wenig herumbloggenden Menschen als höchst akademische Frage erscheinen. Beides ist für die Zukunft des persönlichen Webpublishing aber hochspannend. Beiträge in Weblogs sind (sehr) öffentliche Äußerungen. Bislang haben sich dafür nur die engeren Freunde und eine sehr kleine Minderheit anderer Menschen interessiert. Das alles geschah buchstäblich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der klassischen Medien. Diese Zeit dürfte nun vorbei sein. Das hat sicherlich der eine oder andere der Mitdiskutierenden angestrebt – nur ist es auf ganze andere Art passiert, als sich engagierte Blogger das vorgestellt haben. Nicht die digitalen Publizisten haben die klassische Medienwelt aufgemischt. Nein, die hat umgekehrt im Ameisenhaufen der Blogosphäre für Aufruhr gesorgt.
Auf jeden Falle man es nun auch für einzelne Blogger, die sich über diese Themen bislang keine Gedanken gemacht haben, langsam "interessanter" werden, sich Gedanken zu machen, was ihre öffentlichen Äußerungen für sie persönlich bewirken. Es sind ja auch schon Leute für Äußerungen in Weblogs gefeuert worden.
Aber mal zurück zum ursprünglichen Anlass...
Was in diesem Fall sicherlich für einen großen Teil der Emotionen gut war, war das Aufeinanderprallen einer Gruppe von Bloggern, die sich als Gegenpol zu den klassischen, geld-getriebenen Medien empfinden, mit den aggressivsten Auslegern eben dieser klassischen Medien. Das Selbstverständnis eines Teils dieser "Alternativ-Journalisten“ hat Don Alphonso vor ein paar Wochen einmal in seinem wortgewaltigen Kampflied der Blogger ausgedrückt. Lesenswert. Hier das Finale:
6 Ihr Hirnficker aus dem Föieton und social interest specialists,Wer so fühlt, dem muss diese Aktion der "News"-Redaktion als nahezu persönlicher Angriff erscheinen und die Kollegen-Blogger, die dort mitwirken, als eine Art Verräter. Die hoch schwappenden Emotionen sind deshalb schon sehr verständlich. Das hat vielleicht auch mit Enttäuschung zu tun und mit dem Gefühl, vom Feind auf ureigenstem Terrain angegriffen zu werden. Wenn einen dann sogar noch die getreuen Mit-Blogger im Stich lassen...
5 Ihr Karrieristen bei den Meinungsbildern
4 und Politikerwurmanhänge der Öffentlich-Geschlossenen Anstalten,
3 Ihr seid genau auf 12 Uhr vor uns, und ihr ahnt nichts in Mahagonny.
2 Ihr habt noch immer nicht begriffen,
1 was da aus dem Nichts des Netzes kommt.
0 Ihr werdet es erst verstehen, wenn wir über Euch sind und die Bomben
-01 einschlagen.
Aber tatsächlich gibt es unter den Alt-Bloggern – über ein "Gemeinschaftsgefühl der Pioniere" hinaus – naturgemäß sehr kontroverse Ansichten und auch Interessen. Abgesehen von ganz wenigen Themen wird es vermutlich mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten dabei geben, wer, wie, wozu bloggt, was er/sie damit erreichen will, was ihr/ihm dabei am Wichtigsten ist, etc. Tatsächlich gibt es inzwischen ja auch unter den Bloggern in Deutschland einige – und nicht nur rebellische - Journalisten, die in den klassischen Medien tätig und dort auch glücklich sind. Und es gibt sehr viele, zu deren Selbstverständnis es sicherlich nicht gehört, Journalisten oder Publizisten zu sein. Die haben naturgemäß die größten Probleme, zu erkennen, wo denn das Problem dabei liegen soll, wenn man honorar- und rückfragefrei zitiert wird. Der eine oder andere mag allerdings auch unangenehme Erfahrungen damit machen, wenn seine Meinung nicht nur von fünf Kumpels gelesen wird sondern auf einmal in der Zeitung steht. Mal schauen...
Neben diversen emotionalen Ausbrüchen gab es in der Diskussion aber auch erfreulich sachliche Beiträge zur Frage „Dürfen die das?“ Wobei es sich hauptsächlich um die Frage dreht, ob man eine Seite einer Zeitung komplett mit Zitaten aus Weblogs zusammenstellen darf, ohne die entsprechenden Autoren zu fragen. Wohlgemerkt: Es geht nicht um das grundsätzliche Recht des ungefragten Zitats (das ja auch nahezu alle Blogger, die ich kenne, intensiv nutzen), sondern um das Anhäufen von Zitaten völlig ohne eigene „Anreicherungen“. Amüsant ist, dass die Verfechter beider Positionen sich in rein rechtlicher Hinsicht jeweils total sicher sind "Das ist auf keinen Fall zulässig" bzw. "Klar, darf News das!" – teilweise unter Berufung auf dieselben Gesetzeswerke. Und auch die Aussagen der Experten zu dem Thema (siehe nochmal die FR) sind so eindeutig nicht, wie es der eine oder andere da gerne hinein-interpretieren möchte. Siehe die Diskussion des Themas "Pressespiegel" am Ende des Rundschau-Artikels
Ein Teil der Kontroverse und die gegenseitigen Vorwürfe im Tenor "Ja kapierst du denn nicht, dass ..." rührt wohl einfach daher, dass die Teilnehmer des Streits/der Diskussion recht unterschiedliche Auffassungen davon haben, was ein Weblog und die Beiträge darin nun sind. Sind es urheberrechtlich geschützte Werke? Womit sind sie am ehesten vergleichbar (denn zu Weblogs wird man in den Gesetzen wenig finden)? Sind es "Artikel" im Sinne einer Zeitung? Aushänge? Kommentare Leserbriefe? Ist jeder Autor eines Weblogs Journalist? Ist ein Weblog grundsätzlich vergleichbar mit einer Publikation wie einer Zeitung oder Zeitschrift? Kann es im Einzelfall so betrachtet werden? Ich denke, die Antworten auf diese Fragen (vor allem, wenn sie denn auf juristischem Wege gesucht würden) hängen sehr vom Einzelfall ab, vom Betreiber des Weblogs, dem beruflichen oder privaten Umfeld, sogar vom einzelnen Beitrag. "Ist doch ganz klar, dass ..." dürfte sehr schwer allgemeingültig zu postulieren und schon gar nicht gerichtlich zu klären sein.
Aber "das juristische" ist ja wohl eher ein Nebenkriegsschauplatz. Honorare für die Zitierten aber wohl auch. Schwer vorstellbar, dass diese Zeitung für die kleinen Zitate Honorare zahlen würde, die für irgendeinen der Beteiligten mehr bringen als Verwaltungsaufwand. Und, ob die Seite 13 mit Weblog-Zitaten erscheint oder anderweitig "preisgünstig" gefüllt wird, dürfte das Businessmodell auch nicht ins Wanken bringen.
Letztendlich geht es wohl eher darum, dass jeder Weblog-Autor für sich persönlich seine Beziehung zu "den Medien" klären muss. Der eine freut sich vielleicht, zitiert zu werden, der andere ist empört, der dritte tut es nur gegen Honorar und vielen wird’s egal sein. Ob das nun eine rechtlich bindende Wirkung hat oder nicht, vielleicht reicht es ja aus, einen Button auf seine Homepage zu setzen "Ich will nicht (außerhalb anderer Weblogs?) zitiert werden!" Welche Redaktion hätte ein großes Interesse daran, einen solchen Wunsch zu ignorieren? Ihre Seiten kriegt sie auch mit anderen Billiginhalten voll.
Was mich an der Diskussion so ärgert (abgesehen von dem teilweise sehr schlechten Stil) ist die ach-so-dramatische "Dürfen die das? Ist das rechtlich ok?" Thematik. "Hier, guck mal, ein Paragraph." Dahinter kann man sich so schön verstecken. Kann man sowas nicht ohne Paragraphen-Meierei lösen?
Posted by: Heiko Hebig | Monday, 20 September 2004 at 13:50
@Heiko: versteh Dich!
Ich denke aber, das Zurückziehen aufs Juristische ist nicht in erster Linie "verstecken" sondern der Versuch, ein sehr mächtiges Argument aufzubauen. Das Recht und die Klageandrohung sind ja nun mal sehr dicke Keulen. Daneben ist sicherlich auch (legitimer aber kontraproduktiver) Groll freier Journalisten gegen kostendrückende Verleger und deren Abzockversuche dabei. Letzteres ist aber etwas, das vermutlich wirklich nur für solche Blogger relevant ist, die sich als (semi-)professionelle Journalisten auffassen.
Ansonsten hast du natürlich recht. Es geht nicht wirklich ums Recht! (Welch putziges Wortspiel.) Es geht um das Selbstverständnis des Bloggens/Bloggers und ihr/sein Verhältnis zum Journalismus. Davon gibt es aber vermutlich so viele unterschiedliche Varianten wie es Weblogs gibt - oder mehr. Darüber einmal nachzudenken - wenn sich der Staub gelegt hat - ist aber vielleicht für aktive Blogger durchaus die dafür aufgewendete Zeit wert. Will ich, dass meine Posts bei anderen gebracht oder zitiert werden? Soll "jeder" sehen, was ich schreibe? Will ich - oder ist mir recht - dass meine Texte auch in den klassischen Medien auftauchen? Wie? Wäre es interessant für mich, meine (längeren) Texte gegen Honorar zu syndizieren? Etc.
"Nachdenken" nicht, um neue Geldquellen aufzutun. Dazu ist die Blogosphäre noch lange nicht groß genug und das Angebot an Content WEITAUS größer als die Nachfrage. Aber Nachdenken über die Öffentlichkeit (oder nicht, oder die eingeschränkte) dessen, was ich hier tue ...
Posted by: Markus Breuer | Monday, 20 September 2004 at 14:56
> Will ich, dass meine Posts bei anderen gebracht oder zitiert werden?
Genau dafür gibt es Creative Commons Lizenzen. Die sagen relativ deutlich, was mit meinen Inhalten und kreativen Gebilden geschehen darf.
Und wenn nicht jeder sehen soll bzw. darf, was ich zu sagen haben, gibt es auch hierfür Mittel und Wege, dieses zu verhindern.
Und natürlich, darüber einmal bewußt nachzudenken, schadet sicherlich nicht.
Posted by: Heiko Hebig | Monday, 20 September 2004 at 15:12
Will da niemandem zu nahe treten, aber ... von denen, die überhaupt eine CC-License auf ihren Blogs stehen haben ... hat sich vermutlich nur eine verschwindend geringe Minderheit Gedanken über einzelne Details davon gemacht. Und erst mal muss ich wissen, was ich will, um es dann zu sagen und in Form zu bringen (zum Beispiel die Form CC.)
Miese Unterstellung, ich weiß. Aber ich denke immer, alle sind wie ich. Und ich habe mir erst Monate, nachdem ich das erste mal die CC verwendet habe, die Texte genauer angesehen.
Die Mittel und Wege, zu kontrollieren, wer mein Weblog sehen kann, sind aktuell nicht besonders komfortabel im Umgang (du kennst ja mein Mantra zu Ease of Use). Und selbst, wenn ich sie beherrsche sind sie grobkörnig. Tatsächlich ist diese Problematik vielleicht einer der Aspekte, die viele Menschen davon abhalten, sich im Internet (speziell in Weblogs) auszudrücken. Lesenswert zu diesem Thema: http://mod-pubsub.org/kn_docs/semipermeable.html (Aber, kennst Du vermutlich schon; ist von TroutGirl, der kürzlich bei Friendster gefeuerten Bloggerin.)
Posted by: Markus Breuer | Monday, 20 September 2004 at 15:24
wer RSS anbietet, will auch gelesen und sogar zitiert werden.
Posted by: Nico | Monday, 20 September 2004 at 17:11
Ein Hinweis: Ich bin alles andere als ein Alternativ-Journalist. Ich bin in einem Bereich tätig, der den meisten Berufsanfängern unfassbar verstaubt und trocken vorkommt; bei uns gibt es strenge Vorgaben und klare Regeln. Ich denke, es sind gute Inhalte und Produkte, und die Leser sind bereit, dafür zu bezahlen. Ich bin Journalist.
Bloggen hat als "Alternativ-Journalismus" nur eine Chance, weil der traditionelle Journalismus im Internet fast immer fachlich, moralisch und wirtschaftlich versagt hat. Aber als Blogger blogge ich, was mit Journalismus nach meinem Verständnis nicht viel zu tun hat. Durch Blogs entsteht ein anderes inhaltliches Angebot im Netz, das aber durch seine Reichweite, thematische Vielfalt und Unkopierbarkeit Nutzer bindet, die den anderen Online-medien die Bilanz verhagelt.
Posted by: Don Alphonso | Monday, 20 September 2004 at 22:21
@Don: Ja, ich weiß das - weil Du es mir schon einmal erklärt hast. Aber ich habe in meinem Beitrag Dich (und andere) hinsichtlich ihrer öffentlichen "Persona", wie sie in den entsprechenden Weblogs präsentiert wird, erwähnt (nicht kritsiert, nicht gelobt). Etwas anderes kann ich nicht, da ich über die RL-Persönlichkeit zu wenig weiß. Es wäre im Kontext der hier kommentierten Diskussion - glaube ich - auch nicht so relevant, da es eben um die Person im Kontext dieser Weblogs und ihrer Rolle des öffentlich in der deutschen Blogosphere Auftretenden geht - mir zumindest.
"You may know vowe, but you don't know Volker." http://notizen.typepad.com/aus_der_provinz/2004/06/anonymitaet_und.html
Ich wollte damit weder Deine Qualifikation noch Berufsbezeichnung ("Ich bin Journalist.") in Frage stellen. Darum ging es nicht.
Posted by: Markus Breuer | Thursday, 23 September 2004 at 06:06