Die meisten, die heute ein Weblog publizieren, wissen, dass dieses Medium absolut öffentlich ist und akzeptieren das. Wer diese Öffentlichkeit scheut, der hat eben kein Weblog. Das ist sicherlich "kein Beinbruch" ... aber schade. Denn auch Leute, die nicht gleich im vollen "Licht der Öffentlichkeit" stehen wollen, haben häufig "etwas zu sagen" und könnten Vorteile aus dem Online-Gedankenaustausch, wie er bei Weblogs üblich ist, ziehen - wenn es denn möglich wäre, diesen „nicht-öffentlich“ stattfinden zu lassen.
Es gibt Anhänger von Weblogs (und Wikis), die solche Beschränkungen für völlig konträr zur Essenz von Weblogs und Wikis ansehen. Sie vertreten die Meinung, dass gerade die absolute Offenheit für den Erfolg dieser neuen Kommunikations- und Zusammenarbeits-Instrumente verantwortlich ist und jede Einschränkung dieser Offenheit sie abwürgt. (Solche Diskussionen habe ich u.A. am Ende des Blogwalk3 erlebt.) Ich denke, dass diese Ansicht etwas blauäugig ist. Im, Gegenteil: etwas mehr "Abgeschlossenheit" wäre paradoxerweise der Offenheit des Gedankenaustausches eventuell förderlich. Es geht dabei nicht um absolut geschlossene Weblogs (die es ja hinter Firewalls und Passwortabfragen schon heute gibt), sondern um Möglichkeiten, die "Öffentlichkeit" eines Weblogs oder Wikis graduell zu regeln, von absoluter Öffentlichkeit bis perfekter Privatheit (nur ich selbst kann sehen) – und das am besten auf der Ebene einzelner Beiträge.
Der Online-Fotoservice Flickr tut das zum Beispiel einfach und elegant und ich denke, dass das einer seiner wesentlichen Erfolgsfaktoren ist. Wenn jedes Bild zwangsläufig allen Nutzern zugänglich wäre, würden viele Leute ihre Fotos hier nicht online stellen.
Warum könnte ähnliches auch Weblogs gut tun? Dazu ist es nötig, ein klein wenig auszuholen...
Der wichtigste Grund, warum ich glaube, dass mehr Möglichkeiten für vertrauliche Kommunikation der Offenheit förderlich sein können, ist die Analogie zur nicht-digitalen Kommunikation. Hier ist es ganz alltäglich, dass wir häufig in gewissen Zirkeln miteinander reden, in denen es als selbstverständlich angesehen wird, dass die ausgetauschten Informationen und Meinungen „unter uns“ bleiben. Dabei muss es sich nicht einmal um hochgeheime Informationen handeln. Die gibt es zwar auch (Geschäftsgeheimnisse und andere). Häufiger sind es Gesprächsthemen, die am besten wirklich erst einmal in kleinem Kreis diskutiert werden – weil man nicht gleich „die Pferde scheu machen“ will, andere nicht verletzen möchte, es einem sonst "peinlich wäre" etc. Viele Menschen scheuen sich auch, offen zu sprechen, wenn bestimmte andere (z.B. "der Chef") dabei sind.
Mir passiert es zum Beispiel regelmäßig, dass ich ausgesprochen schräg angesehen werde, wenn Menschen in meiner Umgebung sehen, was ich alles blogge. Und ich merke, dass sie über einige der Themen niemals öffentlich reden würden – aber in kleinem Kreise schon.
Und das alles soll online ganz anders sein? Glaube ich nicht.
Und so lange die online verwendeten Tools keine handhabbaren und einigermaßen zuverlässigen Möglichkeiten bieten, die Vertraulichkeit des Austausches zu steuern, werden sie in diesen Fällen von solchen Personen nicht genutzt werden. Schade!
Erst kürzlich bin ich auf ein schon etwas älteres, aber extrem interessantes Papier genau zu dieser Problematik von Joyce Park gestoßen: Towards semi-permeable Blogging. Der Artikel ist schon rund ein Jahr alt und haut interessanterweise in dieselbe Kerbe.
But although the blog has proven itself technically capable of meeting the need for many kinds of information dissemination and archiving, numerous social and legal problems have emerged in the practice of real-world blogging. Many of these problems cluster around the almost totally public nature of online expression. Paradoxically, we may be reaching a point where greater expression can only be achieved through greater privacy.Damit sind nicht die firmeninternen Weblogs im Kontext eines Intranets gemeint. Dort sind "geschlossene" Benutzergruppen normal und auch die Vorteile bzw. die Notwendigkeit für die eingeschränkte Öffentlichkeit liegen auf der Hand. Ohne die Abschottung wäre es unmöglich, in solchen Blogs über vertrauliche, firmeninterne Dinge zu diskutieren.
Vertraulichkeit ist auch in anderen, privaten Kontexten "Ein Thema". Joyce Park nennt nur drei Beispiele für Probleme bzw. Nachteile, die jemandem durch öffentlichen Bloggen entstehen können:
- Ein Programmierer, dessen Bewerbung nicht berücksichtigt wird, weil die entsprechende Sachbearbeiterin in seinem Weblog "Unvorteilhaftes" entdeckt
- Eine Projekt mit vielen Beteiligten in aller Welt, dass man eigentlich ideal über ein öffentliches Weblog oder Wiki durchführen könnte, das aber daran scheitert, dass die Beteiligten sich zu den Themen nicht so absolut öffentlich außern wollen.
- Einen jungen Mann, der von seiner Ex verklagt wird, weil er in seinem Weblog intime Details über vergangene Dates veröffentlicht hat
Das mögen extreme Beispiele sein. Deshalb ein "alltägliches" als Zugabe: Mich hat kürzlich meine liebe Schwester schwer zusammengestaucht, weil ich ein Bild von ihr bei Flickr online gestellt habe, ohne es auf "Privat" zu setzen. Kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Ist aber ihr gutes Recht.
Grundsätzlich ist es sicher so, dass die absolut öffentliche Form des Webpublishings viele, für die das Medium Internet sonst eventuell sehr hilfreich wäre, davon abhält, es zu nutzen. Weil sie sich einfach unwohl damit fühlen.
Anonyme Weblogs sind übrigens – obwohl manchmal für diese Problematik vorgeschlagen - keine wirklich praktikable Lösung. Sie bleiben erstens erfahrungsgemäß nicht lange anonym (nicht wegen technischer Probleme damit sondern aufgrund ungeschickten Verhaltens der Autoren. Zudem wollen die meisten Leute ja gar nicht "anonym" sein sondern lediglich einschränken, wer bestimmte Informationen sieht. Anonymität schadet zudem naturgemäß der "Credebility" und damit dem ernsthaften Diskurs.
Stepping back from things as they currently are, it should be clear that fully public speech is not the only imaginable or even the optimal level of privacy necessary on the Internet. The vast majority of people express themselves in greater quantity and often greater quality if they are allowed to freely choose the level of publicness of each of their utterances.Die Frage ist, ob man vertrauliche Zirkel nicht auch online einrichten kann, so flexibel und durchlässig, dass die wesentlichen Vorteile der Offenheit – innerhalb dieser Gruppen und darüber hinaus – nicht verloren gehen. Joyce schlägt sechs Level der Vertraulichkeit vor:
- Private, vertrauliche Notizen, die nur für mich persönlich gedacht sind, wie in einem persönlichen, vertraulichen Tagebuch
- Private, nicht notwendigerweise vertrauliche Informationen.
- Informationen, die ich nur ganz bestimmten Menschen zugänglich machen möchte
- Vertrauliche Informationen, die aber jeder lesen darf, der einer bestimmten Organisation/Gruppe zugehörig ist (Firma, Verein, etc.), auch, wenn ich sie/ihn nicht persönlich dafür ausgewählt habe.
- Informationen, die jeder sehen darf, sofern sie/er sich zuverlässig authentifiziert und dabei ggf. bestimmten Nutzungsregeln explizit unterwirft (vergleiche die Zitate-Debatte in der Deutschen Blogosphäre aus der letzten Woche)
- Völlige Offenheit wie in einem großen Teil der heutigen Blogosphäre
Wobei das hier schon eine recht flexible Abstufung ist. Flickr geht pragmatischer vor. Ein bestimmtes Bild kann entweder nur ich sehen, meine Familie, meine Freunde oder Jeder. Grobkörniger aber sehr einfach zu handhaben.
Technisch gesehen ist so etwas machbar. Siehe Flickr, siehe auch einige schon bestehende Blogging-Plattformen (zum Beispiel 20six und das in den USA sehr beliebte LiveJournal), siehe Kollaborations-plattformen wie das excellente Groove (siehe auch hier) und auch Ansätze wie SixAparts TypeKey (obwohl hier mehr der Comment-Spam attackiert werden soll). Der Nachteil solcher Lösungen, gerade von denen als sehr störend empfunden, die das Internet als letzte Bastion der Freiheit und freien Meinungsäußerung ansehen, ist die Notwendigkeit zur Authentification der User.
Ein System kann nur dann entscheiden, ob ich etwas sehen (oder kommentieren oder gar bearbeiten) darf, wenn es weiß, wer ich bin. Und da es extrem lästig wäre, sich beim Wechsel von einer Website zur anderen ständig neu anzumelden, müssten diese Websites (und Blogs) am besten miteinander kommunizieren und die Authentifizierungsdaten untereinander austauschen. Das wiederum öffnet natürlich der perfekten Überwachung meiner Online-Aktivitäten Tür und Tor. Werden diese Daten erst einmal auf allen Websites unter demselben Benutzernamen gespeichert, wäre es technisch ein Leichtes, sie miteinander zu kombinieren und weitgehende Schlüsse über mein Surf-Verhalten, meine Ansichten, Vorlieben, Gesinnungen daraus zu ziehen.
Diese Gefahr besteht. Sie besteht aber auch ohne zentrale Benutzerverzeichnisse. Mit etwas Rechenleistung lassen sich auch heute schon eine Menge Verknüpfungen herstellen, scheinbar anonyme Benutzer identifizieren etc. Ein Authentifizierungssystem, das mich – wenn ich das will – identifiziert und wirklich nachweist, dass ich der bin, der ich behaupte zu sein, wäre m.E. deshalb schon erstrebenswert. Am Besten, wenn dieses System anders als Microsofts Passport oder SixAparts TypeKey ohne ein zentrales Verzeichnis auskäme (also Peer-to-Peer arbeitet) und es parallel zu allgemein zugänglichen, brauchbaren Lösungen, auch wirklich anonym zu browsen, realisiert würde – wobei ich anonym dann natürlich u.U. eben bestimmte Inhalte nicht mehr sehen.
Joyce schließt ihren Artikel übrigens mit einer interessanten Analogie, die ich bedenkenswert finde:
A [...] story can be told about the growth of private postal services in Renaissance Europe. By the turn of the 15th century, successful merchants were exchanging around 10,000 letters a year with business associates in multiple countries. One of the factors accounting for the explosive rise of letter-writing at this time was the development of private postal services (most notably that run by the Thurn und Taxis family) which were considered neutral networks. The vast and enduring success of these private postal services indicates a demand for a common carrier that was subject to neither governmental snooping nor competitive industrial espionage.Im Gegenteil!As these historical examples suggest, in the past the promise of privacy in communication media has led to an increase in expression. For this reason, we think it rather unlikely that increased privacy would lead to a disastrous closing off of the great conversation that is the Internet. [...]
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