Als bekennender Fan evolutionärer Prozesse (auch als Denkmodelle ausserhalb der Biologie) "begeistern" mich ja immer wieder die Aktivitäten fundamentalistischer Christen speziell in den USA (und anderswo, zum Beispiel auch in Italien). Da gibt es immer wieder vehement ausgeführte Versuche, die Darwinsche Evolutionslehre entweder ganz auszumerzen oder als "eine Theorie, die genauso plausibel ist wie die wortgetreue Interpretation der biblischen Schöpfungsgeschichte" einzuordnen.
Erst heute morgen in der Badewanne ist mir bei der Lektüre eines schon älteren Werks des leider schon 1989 verstorbenen Hoimar von Ditfurth klar geworden, woher diese Hartnäckigkeit wirklich rührt. Es ist nicht einmal (immer) "tiefer Glaube", der eine Erklärung dieser Ablehnung von Evolution liefern kann. Es hat viel mit Unsicherheit, Stolz - letztendlich der altbekannten Anthropozentrik tief in uns allen zu tun. Das war mir schon "irgendwie" klar. Aber Hoimar von Ditfurth, dessen erste Werke ich als Jugendlicher verschlungen habe, bringt es auf den Punkt:
Die Entdeckung der Evolution schließt die Ansicht mit ein, dass unsere Gegenwart [...] nicht das Ende (oder gar das Ziel) der Entwicklung sein kann. [...] Damit erweist sich unser heutiger Rang ebenfalls als grundsätzlich provisorischer Natur. [...], dass die Rolle des Homo Sapiens in seiner uns gewohnten Wichtigkeit um nichts gültiger oder endgültiger sein kann, als die des Neandertalers [...] Das Universum käme ohne uns gut zurecht, und wird auch eines Tages [...] ohne uns auskommen müssen [...]
Diese Einsicht tut unserem Stolz Abbruch, nicht jedoch unserer Würde.
Anders formuliert lautet die Angst der Evolutions-Ablehner: "Der Mensch, nicht mehr Krone der Schöpfung? Das kann nicht, das darf nicht sein!" Und für das Gefühl des Unbehagens mit dieser These braucht es nicht einmal den tiefen Glauben an die buchstabengetreue "Wahrheit" in der Bibel.
Ditfurths Buch (scheinbar nur noch antiquarisch lieferbar) ist auch in vieler anderer Hinsicht eine hochspannende Lektüre für jeden, der sich mit der Unvereinbarkeit von naturwissenschaftlichem Weltbild und "Fragen nach mehr" nicht abfinden will. Ich habe damals aufgehört, seine Bücher zu lesen, als sie (nach Im Anfang war der Wasserstoff und Kinder des Weltalls) "philosophisch" wurden. Jetzt merke ich, welchen Fehler ich damals gemacht habe.
Es ist wohl auch einfach der 'Faktor Zeit', der uns da permanent überfordert - und unsere Beschränkung auf die unmittelbare Umwelt. Wir sind einfach mit einer zu lächerlich geringen Lebensspanne und mit einer aufs schnöde Überleben ausgerichteten, punktuellen Aufmerksamkeit 'gesegnet', so daß sich solche weittragenden Konsequenzen einfach unserer praktischen Lebenserfahrung verschließen - sie bleiben damit immer theoretischer Natur.
Posted by: Wolfgang Flamme | Saturday, 27 November 2004 at 16:29
Wieder ein klasse Post, habe aber jetzt leider nicht die Zeit, darauf einzugehen. Später vielleicht.
P.S. Hast Du solange in der Badewanne gelegen oder bis Du Weltmeister im Diagonallesen?
Posted by: Guntram | Saturday, 27 November 2004 at 16:54
@wolfgang: irgendwo hast du mich zwischendrin verloren (bei dem thema kein wunder): welche "weittragenden Konsequenzen" meinst du? das bewußtsein, ein (zwischen-)schritt auf einem langen weg zu sein, dessen höhepunkt sicherlich nicht ich bin?
@guntram: beides. ich bin nicht weltmeister in irgendwas aber tatsächlich vergleichsweise schnell-leser - und falls nötig diagonalleser. ich habe eine dreiviertel stunde in der wanne gelegen und dabei knapp das halbe buch geschafft. ein viertel hatte ich von gestern abend intus. den rest gibts morgen.
Posted by: Markus Breuer | Saturday, 27 November 2004 at 17:40
Nein, ich bezog mich darauf, inwieweit Evolution überhaupt begreifbar, verinnerlichbar ist. Das sich jemand dem Evolutionsgedanken verweigert, muß also nicht zwingend eine Reaktion auf die implizierte Kränkung sein.
Ich meine, das Ergebnis steht ja fest: die Realität.
Ob ich nun zur Erklärung einen Gott oder einen (ver)naturwissenschaftlichen Vorgang mit geradezu göttlichen Ausmaßen heranziehe, ist vielleicht nicht allzu unterschiedlich. Wirklich Begreifen läßt sich beides nicht.
Mit anderen Worten: An den Urknall zu glauben ist möglicherweise nicht so viel rationaler, als an Gott zu glauben.
Posted by: Wolfgang Flamme | Saturday, 27 November 2004 at 18:18
danke für die "erhellung". ja, biologische evolution findet in grossen bis sehr grossen, mir erfahrungsgemäß nicht zugänglichen zeiträumen statt. die prinzipien der evolution sind allerdings - meine theorie - in vielen anderen bereichen beobachtbar, die durchaus menschliches maß haben. in der menschlichen kulturgeschichte, in der kapitalistischen (markt-)wirtschaft, vielleicht sogar in der entwicklung eines einzelnen menschen, speziell seines "geistes". es sind sehr mächtige und - wieder meine meinung - nahezu universelle prinzipien.
>> Ob ich nun zur Erklärung einen Gott oder einen
>> (ver)naturwissenschaftlichen Vorgang mit geradezu göttlichen
>> Ausmaßen heranziehe, ist vielleicht nicht allzu unterschiedlich.
>> Wirklich Begreifen läßt sich beides nicht
ja und nein. auch der glaube an naturwissenschaftliche prinzipien, die die welt "zusammenhalten", ist ein glaube. wenn ich diesem glauben anhänge, kann ich sehr viel der welt "begreifen". je nach intellektueller kapazität, glaube ich, fast "alles". ob das für meinen alltag wichtig ist, oder mich soviel glücklicher macht, steht auf einem anderen blatt ...
> Mit anderen Worten: An den Urknall zu glauben ist möglicherweise nicht so
> viel rationaler, als an Gott zu glauben.
nochmal ja und nein. wenn ich an naturwissenschaftliche prinzipien, die die welt "zusammenhalten", glaube, ist die annahme einer singularität, die wir urknall nennen, recht rational da plausibel nach den regeln wissenschaftlicher deduktion und unter anwendung von occams razor (was nur eine konvention aber nicht wirklich ein valides kriterium für die modellwahl ist) aus der beobachtbaren welt ableitbar. (was andere modelle nicht final ausschließt.)
ob ich an diese PRINZIPIEN "glaube" ist allerdings wirklich meine entscheidung, eben auch mein "glaube" - der übrigens die erkenntnis nicht ausschließt, dass naturwissenschaft die existenz des universums an sich nicht im geschlossenen system des universums erklären kann. gödel lässt grüßen! - wobei man über die anwendung von gödels unvollständigkeitssatz auf philosphisch/religiöse fragestellungen - im besonderen die frage, ob das universum ein "formales system" ist - geteilter meinung sein kann.
Posted by: Markus Breuer | Saturday, 27 November 2004 at 18:44
Nun, der Urknall löst auf der Besis des Systems, das er zu erklären versucht, ja lediglich weitere Fragen aus. Die simple Frage "was kam vorher?" oder "Gab es ein 'vorher'?" führt dann zu so unplausiblen Annahmen wie 'Wirkung ohne Ursache' oder "zeitliche Abläufe unter der Abwesenheit von Zeit" und ähnliches, was man wissenschaftlich nüchtern als Unsinn bezeichnen müßte.
Wenn wir mal undogmatisch denken, dann vereinfacht ein Kreationist die Welt ganz ähnlich wie ein naturwissenschaftler, er bricht sie auf die wesentlichen intellektuell handhabbaren Bausteine herunter - im einen Fall göttliche Allmacht, im anderen auf universelle Regelwerke.
Unter Anwendung von Occams Rasiermesser-Regeln wäre der Glaube an Gott im Zweifelsfall sogar naturwissenschaftlicher - ein simpler göttlicher Vorsatz erklärt all dasjenige mit, wo die Wissenschaft nach wie vor die Achseln zuckt bzw. auf weitere, unbewiesene Annahmen ausweichen muß.
Das von Dir erwähnte 'Ja und Nein' spüre ich auch - aber die Ausprägung des Glaubens ist einfach eine Frage der persönlichen Präferenzen und nicht rational begründet.
Ich denke sogar, daß sich Glaube und Naturwissenschaft überraschend gut zusammenfügen lassen, wenn es um diese 'letzten' Fragen geht.
Problematisch wird es allerdings, wenn Glaube durch Religion substituiert wird, wie das bei den harten Kreationisten der Fall ist. Da kann und will ich dann auch nicht mehr folgen, das ist mir (ganz antiwissenschaftlich und egozentrisch) einfach zu blöde.
Posted by: Wolfgang Flamme | Saturday, 27 November 2004 at 19:55