Ich hatte mich ja gestern schon einmal darüber ausgelassen, wie schlecht die "normale" klassische Vorgehensweise bei der Strukturierung und Gestaltung einer Website zu den heutigen Nutzungsgewohnheiten im Netz paßt. Einen Teil dieser Nutzungsgewohnheiten kann man damit zusammenfassen, dass Struktur und das vordefinierte Menüsystem immer unwichtiger werden. Ein Großteil der Anwender kommt über Suchmaschinen zu den gewünschten Seiten. Und wer verwendet auf Websites wie Amazon oder bei eBay überhaupt noch die Menüstrukturen? Niemand, den ich danach gefragt habe.
Auch interne Suchmaschinen sind nicht die Lösung. Viele Anwender benutzen diese Suchfunktionen nämlich nicht als "Volltextsuche", die eine Textpassage auf einer Webseite findet. Stattdessen schreiben sie in die kleinen Textboxen einfach ihr "Anliegen" hinein - ein, zwei, drei Worte oder Satzfetzen, die exakt in dieser Form nirgends in der Website vorkommen. Gute Suchmaschinen müssen Synonyme kennen, Tippfehler ignorieren, die wirklich wichtigen Seiten zu einem Thema kennen (die nicht mit denen identisch sind, auf denen exakt dieser Text vorkommt), etc.
Eine Suche, die diesen Erwartungen entspricht, müsste eigentlich wissen "was der Benutzer meint".
Keine kleine Hürde. Aber tatsächlich gibt es solche Lösungen (die sogar ganz ohne "künstliche Intelligenz" auskommen) schon. Manchmal begegnen sie einem sogar dort, wo man vorurteilsbelastet nicht unbedingt die überraschenden Innovationen erwartet.
Eine wirklich clevere Lösung, mit den "Anliegen" der Anwender umzugehen, ist seit kurzem auf den Seiten der Deutschen Post zu finden: ein natürlichsprachliches Frage-Antwort-System. Besucher können hier ihr Anliegen eintippen (zum Beispiel "Was kostetet ein Paket nach England"; es reicht aber auch, wenn man "brief nach england" eiingibt). Daraufhin analysiert das System die Frage (nein, es wird kein Versuch gemacht, die wirklich zu "verstehen") und schlägt einem nach dem Motto "Meinten Sie vielleicht ..." sechs typische Fragen vor, die das selbe oder ähnliche Themen betreffen.
Ist eine dieser sechs Fragen tatsächlich "das was ich meinte", bin ich am Ziel. Ein Mausklick und die Information erscheint im Browser. Und das ist erstaunlich oft der Fall. Ich habe das einmal eine Viertel Stunde lang ausprobiert und war fasziniert, wie gut die vorgeschlagenen Antworten meist waren. Schrecklich erstaunt war ich nicht, weil ich die Ergebnisse eines Projekts kenne, in dem ermittelt wurde, dass rund 80% der Anliegen, mit denen Besucher die Volltextsuche auf dieser Website benutzen, mit maximal 70 Fragestellungen zu beschreiben sind. Das Ganze in Aktion zu sehen, war trotzdem faszinierend.
Ich wage einmal die Prognose, dass wir über kurz oder lang auf den Homepages vieler großen Websites solche und ähnliche Systeme sehen werden. Kaum ein Anwender mag sich in komplexe, hierarchische Menüstrukturen hineindenken. Und mit vier, fünf oder sechs dicken Buttons auf der Homepage (die die Anwender verstehen würden) lassen sich die Inhalte der meisten großen Unternehmens- und Marken-Websites schon lange nicht mehr erschließen.
Wer nicht glaubt, wie effektiv so etwas sein kann, sollte es am besten mal ausprobieren. (Verbirgt sich unter dem Menüpunkt Geschäftskunden-Service im Topmenü "Online-Services" auf der Website der Deutschen Post - und ist aktuell manchmal schrecklich langsam.) Bei der T-Com gibt es irgendwo eine ähnliche Lösung. Die habe ich aber gerade nicht so schnell gefunden.
Damit mir hier nicht der Vorwurf der Selbstbeweihräucherung oder Vetternwirtschaft gemacht wird, ein Geständnis in eigener Sache: Ja, ich habe im Rahmen meines alten Jobs große Flächen der Website(s) des gelben Riesen mitkonzipiert und produziert bzw. die entsprechenden Projekte geführt (seit 1996; hach, waren das Zeiten ...). Die hier beschriebene neue Suchfunktion ist aber intern konzipiert worden und die Ausschreibung für die Umsetzung hat ein Wettbewerber gewonnen ... trotzdem eine pfiffige Lösung.
Obwohl ich meine, dass Du mit Deiner Einschätzung Recht haben dürftest, dass logische Navigationsstrukturen an Bedeutung für die Nutzer verlieren, denke ich doch, dass sie zur Website einfach aus Eigeninteresse dazugehören, eben weil sie die logische Ordnung auch verdeutlichen.
Zudem dürfte es solche und solche Seiten geben. Wenn ich zur "Göttlichen Komödie" etwas suchte und fände über eine Suchmaschine eine feine Seite, inhaltlich und optisch ansprechend, dann würde ich mich sehr wahrscheinlich darin verbeißen und wäre dankbar für eine Menü-Steuerung.
Wenn ich bei meiner Suche auf ein Nachrichtenportal geleitet werde, dann wird mir die Menüführung nicht so sehr viel sagen, und nächste Woche wird mich dieselbe Navigation zu ganz anderen Inhalten führen.
Aber angenommen, wir sammeln mal ein paar Seiten, wo wir uns so eine Post-Suchmaschine vorstellen können (die ich zwar gut gemacht finde, die in Chat-Bots und auch FAQs aber eigentlich schon ewig ihre Entsprechungen haben), dann frage ich mich zweierlei:
1. Wollen wir ähnliche Inhalte weiterhin IMMER durch ähnliche Suchbegriffe suchen? Nicht jeder kann im Browser das AutoVervollständigen nutzen (mit dem ich hier immer meine Kommentare abgebe :-) ). Oder sollte nach wie vor eine logische Menüführung vorhanden sein?!
2. Wenn es schon möglich ist, nicht mit Punkten auf dem Bildschirm zu navigieren, sondern mit Begriffen - warum sollte man dann noch Suchbegrife eintippen? Ein Headset, ein Mikro, ein paar hingeworfene Brocken, ein "Energize" um anzuzeigen, dass die Suchbegriffe vollständig sind und die Suche gestartet werden kann - fertig! Wer tippt dann noch? frage ich Dich! :-)
Posted by: Manfred | Wednesday, 10 November 2004 at 14:52
ein paar unsortierte anmerkungen dazu:
1. ich habe nicht (wirklich) gesagt, dass struktur-menüs überflüssig sind. ihre bedeutung wird inzwischen nur überschätzt. die hier investierte energie sollte (zum teil) in alternative navigationssysteme gesteckt werden.
2. wenn du die coole seite zur göttlichen kommödie findest, wirst du sicherlich explorieren wollen. aber nicht zwangsläufig oder ausschließlich im kontext einer hierarchischen struktur. es gibt andere, die für assoziatives erkunden besser geeignet sind.
3. ich denke nicht, dass viele normale user etwas dagegen hätten, ihrer suchmaschine ihre wünsche zuzurufen - wenn die technologie hinreichend zuverlässig ist. das hat apple 1987 (!) wunderbar mit dem legendären knowledge navigatopr visualisiert. (ich selbst tippe ganz gerne und hätte ein problem damit, in einem büro zu sitzen, in dem die leute mit ihren PCs reden. aber vielleicht ist das gewöhnungssache.)
Posted by: Markus Breuer | Wednesday, 10 November 2004 at 15:08
Jo, ich tippe eigentlich auch gerne - Hey, ich war immerhin Chat Manager bei LYCOS!!! ;-) Grundlage dafür IM Chat war: "Wenn schon fremd, dann RICHTIG fremd - und rein ins Getümmel!"
Bei Computern ist die Herangehensweise eine völlig andere, was insbesondere damit zuammenhängt, dass es beim Menschen ein Unterschied ist, ob man mit ihm schriftlich oder mündlich (oder gar persönlich, aber das steht bei Computern (noch) nicht zur Debatte) kommuniziert - beim Computer nicht!
Bei LYCOS saß ich (manchmal) in Großraumbüros, in denen die Kollegen, meist Content Manager im kaufmännischen Sinne, häufig, lange und bisweilen sogar laut telefoniert haben. Da fällt man doch mit seinem Computer-Geplauder nicht wirklich auf :-)
Der "Knowledge Navigator" hört sich gut an!
Posted by: Manfred | Wednesday, 10 November 2004 at 15:26
markus, nette sache, dass du das frage & antwort spiel hier mal vorführst. am interessantesten ist natuerlich das, was unter der haube passiert. wieviel ist davon handarbeit, wieviel kuenstliche intelligenz bzw. kann man sich ein einfaches trainingsverfahren ausdenken, um die suchphrasen/begriffe auf die fragen zu trimmen.
Posted by: Gerald | Saturday, 13 November 2004 at 23:22
so viel künstliche intelligenz ist dafür gar nicht vonnöten (wäre vielleicht auch nicht schädlich). das bei der post zugrunde liegende tool (der firma q-go) analysiert und korreliert recht ordentlich die logfiles. unbeliebte beispielfragen können so einfach gejätet werden, neue themen, sobald sie vermehrt auftauchen, schnell festgestellt werden. dann werden ein paar neue beispielfragen formuliert.
ist manuell aber erstaunlich effizient.
ein neuronales netz könnte in einem darwinistischen prozess vielleicht ähnliches leisten. seine entwicklung wäre aber vermutlich erheblich teurer als den manuellen prozess ein paar jahre zu betreiben - und zwischendurch kämen bei den getesteten mutationen wahrscheinlich stilblüten heraus, die der betreibenden firma peinlich wären.
Posted by: Markus Breuer | Sunday, 14 November 2004 at 06:31