Sechs Prozent des von Shell in Deutschland verkauften Sprits ist inzwischen "V-Power", eine Art Super-Super, das dafür auch rund 10 Cent teurer ist. Das "braucht" zwar kein Motor, aber es gibt halt Fahrer, die lieben ihre Autos so heiß und innig, dass sie ihnen ab und an einfach mal ein Leckerchen gönnen wollen (als Hundebesitzer habe ich Verständnis für so etwas). Und mehr Leistung bringts ja auch.
"Für die Kunden, die V-Power kaufen, sind die Leistungsmerkmale des Kraftstoffs wichtiger als der Preis. V-Power 100 ist zu 99 Prozent identisch mit dem Treibstoff, den Michael Schumacher bei Rennen fährt", erzählt Istvan Kapitany, Shell-Chef in Deutschland.
Tscha, das ist bestimmt nicht gelogen. 99 Prozent identisch wäre der Treibstoff ja auch, wenn man eine Handvoll Sand in den Tank wirft. Und hatten die Schumacher-Schleudern nicht auch andere Motoren als so ein Golf oder BMW 3er? Der ADAC schreibt dazu in einem Test des überteuerten Sprits:
Ernüchterung macht sich breit - lediglich beim VW und dem Porsche konnte mit V-Power eine geringfügige Leistungssteigerung festgestellt werden – doch die lag deutlich unter zwei Prozent und damit innerhalb der Messtoleranz. Und fünf Prozent mehr Drehmoment? Wieder Fehlanzeige: Alle Prüflinge lagen – teilweise sogar mit schlechteren Fahrleistungen – im nicht statistisch verwertbaren Toleranz bereich.
Erinnert mich an das Spezialöl, mit dem man seine CDs einreiben kann und die dann "viel klarer klingen", "mehr räumliche Trennung" und so. Jedes Zeitalter hat eben seine Quacksalber ... und die dummen Bauernburschen, die ihnen das Geld hinterherwerfen. Mir ist das recht. Ich fände es eh besser, wenn der Liter Super 5 EUR kostet! Dann geht man gleich viel sparsamer damit um. Vielleicht ist Shell hier auf einem richtigen Weg.
Aber gab es nicht früher mal ein Gesetz gegen irreführende Werbung?
[Santaroga News, 19.11.2004]
der 5-euro-forderung schließ ich mich an.
Posted by: helge | Friday, 19 November 2004 at 16:51
Das schönste, da weitreichendste Beispiel der letzten Dekaden waren die teuren "Biopace"-Kettenräder des Fahrrad-Herstellers Shimano, die "wissenschaftlich erwiesen" durch ihre ovale Form die Kraftentfaltung verbesserten. Räder, die das nicht hatten, waren schwer verkäuflich, die meisten Händler und Kunden haben es geschluckt. Dann kam Shimano mit noch teureren "Biopace-Performance"-Kettenrädern, die angeblich für Sportler besonders geeignet waren - und dann endlich kehrte man stillschweigend zu den runden Kettenblättern zurück.
V-Power ist gegen die Biopace-Gehirnwäsche ein schlechter Witz.
Posted by: Don Alphonso | Friday, 19 November 2004 at 18:43
Viele Autofahrer haben Firmenautos, zu denen sie eine Tankkarte bekommen. Diese Karte ist meistens für mehrere Tankstellen nutzbar - auch verschiedener Marken. Dadurch kann es schon dazu kommen, dass einige V-Power mehr tanken.
Unser Auto bräuchte normlerweise auch SuperPlus, doch wir tanken mittlerweile Super, da es keine Leistungsunterschied macht und eben preislich besser ist.
Mein Vater fährt regelmäßig von Lochau (zwischen Marktredwitz und Weiden; Oberpfalz) über Bayreuth und Bamberg nach Höchstadt an der Aisch. Auf der ca. 140 km langen Strecke befindet sich nur eine Tanke. Diese ist natürlich von Shell.
Posted by: Christoph Hörl | Saturday, 20 November 2004 at 08:51
@don: will nu echt nicht in einen wettbewerb eintreten, welches beispiel einen größeren mangel an intelligenz offenbart. in der 360grad-runde mit rückkehr zu den kreisförmigen ritzeln "hat das sicherlich was" ...
rein volumenmäßig dürfte shell mit v-power erheblich größere summen bewegen (und abzocken) als shimano mit der biopace-geschichte (an die ich mich vage erinnere; bin zwar selbst konsequent unsportlich, habe aber radfahrende bekannte, die mir damals davon vorgeschwärmt haben). wir reden immerhin über 10 cent und mehr pro liter, also im schnitt rund 5 EUR pro tankfüllung bei jedem deppen, der auf die sache reinfällt. das multipliziert mit 6% der shell-kundschaft ... die zahl habe ich jetzt nicht parat ... aber wie sagte onkel dagobert mal? eine million hier, eine million da und eh man sich's versieht, reden wir über richtiges geld.
@christoph: solches premium-gesöff gibts inzwischen nicht nur bei shell. ist eine marketing-taktik, die alle marken fahren - oder planen.
Posted by: Markus Breuer | Saturday, 20 November 2004 at 15:50
ich freu mich immer, wenn irgendeine firma leute dazu bringt, etwas zu kaufen, das sie nicht brauchen (freude über gutes marketing).
noch mehr freu ich mich, wenn das eine firma versucht, die leute es aber durchschauen (freude über mündige konsumenten).
und am meisten freu ich mich, wenn es eine firma versucht, sich aber zu dämlich anstellt (schadenfreude).
erfreuliche sache, das.
Posted by: helge | Saturday, 20 November 2004 at 16:16
Lass es mich so sagen: Shimano hatte damals mit Biopace bei den Rädern ab 300 Euro für etwa 5 Jahre praktisch 100% Marktanteil - weltweit. Und Bikes waren damals das Boomgeschäft schlechthin.
Posted by: Don Alphonso | Saturday, 20 November 2004 at 18:33
Als wenn das in anderen Branchen nicht ganz genauso wäre - und dort auch von entsprechendem Marketing begleitet wird. Denkt an Bio-Joghurts, die mit ein paar Millionen Bakterien die Abwehrkräfte stärken sollen (die Dinger schmecken ja ganz gut, können aber in der Darmflora sicher sogut wie nix auswirken - falls jemand an der Magensäure vorbei kommt:-)) ) oder an Halbfettmargarine (Du Schuft Du). Viele Produkte sind, verglichen mit dem "Grundprodukt", den per Marketing erzielten Mehrpreis nicht wert. Na und?
Neu ist doch nur, daß es das in allen anderen Branchen seit Jahren gibt. Nur in der Sprit-Branche gab es lange Zeit ausschließlich den Gegentrend. Alle Produkte "gleich" und "vergleichbar" - und bei den Markentankstellen zum nahezu gleichen Preis. Die einzigen Marketingaktionen liefen gegen die Billigtankstellen (unsauberer Sprit, vermengte Sprittypen etc.) - und nicht für ein "Premium"-Produkt.
Posted by: Thomas Schulze | Saturday, 20 November 2004 at 19:21
natürlich ist das nicht neu.
der unterschied liegt darin:
alles mit biologie, physiologie, medizin, wohlfühlen etc. ist EXTREM schwer beleg- oder widerlegbar, zum teil subjektiv. ob der sprit mehr leistung bringt, kann man messen, und zwar ganz einfach.
sich in der physik "auf's gefühl zu verlassen" ist m.e. tatsächlich eine andere dimension der dummheit. keine neue, das gab's ja vor den zeiten der aufklärung allgemein. schade nur, dass wir dahin wieder zurückkehren.
und, dass solche einfach widerlegbaren aussagen nicht als unlautere werbung angeklagt werden, ist m.E. auch eine andere dimension als "fördert das allgemeine wohlbefinden" bei irgendeinem bioghurt mit hochkant drehenden bakterien.
Posted by: Markus Breuer | Saturday, 20 November 2004 at 19:37
verzeihung - aber das sind keine "wohlfühl" themen. die damen und herren haben einen gesundheitseffekt versprochen - und u.a. stiftung warentest hat den theoretisch und praktisch in den boden gerammt.
ein paar millionen potentiell "gute" bakterien sind, nach einem säurebad im darm angekommen, den dort wohnenden vielen milliarden "ansässigen" halt immer unterlegen. also biologisch (ist übrigens auch eine exakte wissenschaft wie physik) nachweisbar.
nix anderes, nix neues.
Posted by: Thomas Schulze | Saturday, 20 November 2004 at 19:41
So ganz aus der Luft gegriffen mag die ganze Argumentation zu mehr Leistung wohl nicht sein, ist doch der Oktan-Wert von Sprit immerhin maßgeblicher Indikator seiner Leistungsfähigkeit ("Brennkraft").
Allerdings setzt dies auch eine entsprechende Auslegung des Motors auf die Entfaltung der Leistung voraus und wirkt insbesondere im oberen Grenzbereich der Drehzahlen, also genau da wo eh kaum jemand der V-Power-Tanker fährt.
Und wenn selbst in Tests die Leistungswerte der getesteten Fahrzeuge nur kaum merklich oder gar nicht vom Nominalwert abweichen, so verwundert das bei einer Steigerung der Oktanzahl von 98 auf 100 nicht sonderlich.
Dass sich durch höhere Oktanwerte auch höhere Leistungsentfaltung erzielen lässt, kann ich nur bestätigen.
In meinem Motorrad fahre ich, wenigstens ab und an zu gegebener Gelegenheit, Sprit mit weit mehr als 100 Oktan, und kann dabei durchaus etwas mehr Drehfreude untenrum und geradezu Aggressivität des Motors in Drehzahlbereichen jenseits der 10.000/min beobachten, wo der Motor mit Super sonst so langsam nach dem nächsthöheren Gang ruft.
Geheimnis des ganzen V-Power Zaubers und tatsächlich höher klopffester Kraftstoffe ist dabei ein simples Lösungsmittel: Methyl-tert-butylether (MTBE)
Mehr Informationen dazu gibts unter:
http://www.umwelt-schweiz.ch/buwal/de/fachgebiete/fg_altlasten/service/mtbe/
Um damit allerdings tatsächlich Leistungreserven zu aktivieren muss man schon etwas mehr davon in den Sprit mischen als das Shell beim V-Power macht. Erfahrungsgemäß kann man da schon einen halben Liter auf eine Motorradtankfüllung (15 - 17 Liter) zugeben.
Posted by: Carsten | Monday, 20 June 2005 at 20:58