Kaum schreibt der Schockwellenreiter mal mehr als ein paar Zeilen an einen Linktipp, kommt etwas richtig Interessantes heraus: Navigation im Web: Was ist eigentlich so unbefriedigend an Wikis? Wobei die Überschrift und der Aufreißertext zwar einen Aspekt meines eigenen Unbehagens mit Wikis sehr schön aufnehmen, tatsächlich aber nur den Auftakt zu einem schönen Essay über Navigation im "Web, so wie es heute ist" darstellen:
Wie finden Sie eigentlich Artikel in der Wikipedia? Also, ich bemühe dafür immer Google, die Wikipedia-internen Navigations- und Suchwerkzeuge sind mir in der Regel entweder nicht mächtig genug oder andersherum wieder einfach zu kompliziert zu bedienen. [...] Viele einfachere Wiki-Engines bieten außer einer Sitemap und eventuell einer Suchfunktion kaum Möglichkeiten einer alternativen Navigation innerhalb des Wikis.
Der Erfolg von Google und anderen Suchmaschinen ist nun nicht allein auf den Kontext von Wikis beschränkt. Im Gegenteil. Und das ist auch kein Wunder. Hierachie, Suchmaschine, wilde Links und Sitemap sind aber schon lange nicht mehr die einzige Möglichkeit, in einer Website zurecht zu kommen ...
Tatsächlich neigen größere Wikis ja wirklich dazu, zu unübersehbaren Linkknäueln zu verkommen, wenn sie nicht sehr diszipliniert eingesetzt werden (wie das Web in Gänze). Und das "Phänomen Suchmachine" betrifft ja nicht nur die Wikipedia.
Tatsächlich findet inzwischen ein Großteil aller Besuche auf einzelnen Webseiten über Suchmaschinen statt und nicht mehr durch gezielte Navigation von der Homepage der entsprechenden Website aus. Siehe auch Home Alone? How Content Aggregators Change Navigation and Control of Content und When Search Engines become Answer Engines. Das sollte mindestens Konsequenzen für die Navigations- und Orientierungssysteme innerhalb einer Website haben. Siehe auch Wie Websites mit der "Ära der Suchmaschine" umgehen. (Hat es bislang aber selten.)
Meister Kantel führt nach diesem Auftakt die folgenden 7 Kategorien von Navigation (nach Peter Gloor) auf:
- Linking
- Suche
- Sequentialisierung
- Hierarchie
- Ähnlichkeiten
- Graphische Visualisierung
- Agenten und Führer (guides)
Was so weit ganz nett ist, rein wissenschaftlich betrachtet. Aber ...
Mischformen und Kombinationen bringen den (Such-)Erfolg
Praktisch gibt es sicher viele Zwischenformen. Siehe zum Beispiel das natürlichsprachliche Frage/Antwort-System, wie es neuerdings Deutsche Post und Telekom einsetzen (Menü-Hierarchien in grossen Websites sind (fast) überflüssig )
Und im praktischen Einsatz wird vermutlich selten eines dieser Prinzipien zum Erfolg führen. Ich denke, dass zumindest in großen Websites nur Kombinationen der unterschiedlichen Verfahren eine schnelle Führung zum Gesuchten und dann ein sinnvolles Weiternavigieren erlauben.
Was meines Erachtens allerdings auch als sicher angesehen werden kann, ist, dass in großen Websites Hierarchie und Sequentialität allein dem Anwender schon lange nicht mehr so viel Unterstützung geben können, wie er braucht. Das erklärt ja gerade die große Beliebtheit der Suchfunktionen innerhalb derr großen Websites.
Und auch das gezielte Anspringen von Seiten, die ich mit einer "Suche" gefunden habe (selbst, wenn diese hochintelligent ist und semantische Zusammenhänge erkennt) wird nur dann eine dem Besucher wirklich hilfreiche Navigationsform sein, wenn auf den dann aufgesuchten Einzelseiten Weiterverweise stattfinden, die sich nicht an der hergebrachten hierarchischen Strukturen orientieren. (Solche Strukturen sind erfahrungsgemäß meist nur für diejenigen logisch und einsichtig, die sie aufgestellt haben.)
Weiterverweise und Querverweise
Hier (sinnvolle Weiterverweisungen) sehe ich persönlich große Chancen für Systeme, die automatisch Links auf "ähnliche Seiten" bzw. Seiten im selben Kontext generieren. Das Hauptproblem bleibt dabei naturgemäß, wie man einer Software ein Maß der "Ähnlichkeit" bzw. einen Kontext vermittelt.Ich selbst bin da in Sachen "Semantic Web" nicht ganz so optimistisch wie der Schockwellenreiter (siehe auch das Thema Implizite Metadaten), weil ich sogar innerhalb einer professionell gepflegten Website großen Respekt vor dem natürlichen Hang des Menschen zu Schlampigkeit und Faulheit habe. Ich denke, dass Systeme, die das tolerieren (das tut das Semantic Web nicht), größere Erfolgschancen haben (siehe Ein Plädoyer für schlampigere Software).
Auch die von Kantel und Kommentatoren vorgeschlagenen ontologie-basierten Ansätze mögen vielleicht in einem wissenschaftlichen Umfeld auf Gegenliebe stossen. Abseits davon ... wird zumindest sehr viel Softwareunterstützung, die die zugrunde liegenden Komplexitäten für Anwendern (auch dem Redaktionsteam einer CMS-Plattform) verbirgt.
Vielleicht ist das in letzter Zeit so beliebte Tagging-Konzept (siehe Was ist Tagging? Und was soll das?) hier ein erfolgversprechender Ansatz. Flexibel etikettierte Seiten (wobei die Tags innerhalb einer professionell gepflegten Site schon einem "controlled vocabulary" entstammen müssten) würden sich meiner Meinung nach ideal für sinnvolle Querverweise und andere innovative Navigationssysteme eignen.
Das würde zumindest auch mit einem überschaubaren Aufwand gehen, ist "beherrschbare Technologie" und verlangt auf keinen Fall die hohen Rechenleistungen, die Kantel bei voll- oder halbautomatisierten Klassifizierungssystemen befürchtet. Wobei lernfähige, auf neuronalen Netzen oder Bayesian Filtering basierende Klassifizierungssysteme zumindest im Kontext eines CMS-getriebenen Website nicht so schrecklich CPU-intensiv im Einsatz wären.
Die Traditionen
Warum ist die Welt trotz dieser Erkenntnisse und neuen Konzepte immer noch voller hierarchisch strukturierter, trotzdem (gerade deshalb?) unübersichtlicher Websites?
Ganz einfach: Tradition und Beharrungsvermögen. Zum einen neigen gerade die großen Firmen und Organisationen, die große Websites betreiben, nicht zu gewagten Experimenten wie der Abkehr vom Primat der hierarchischen Navigation. Und, ob die Besucher dieser Websites solche neuen Lösungsansätze goutieren, ist tatsächlich ein Experiment mit ungewissem Ausgang.
Die Frage der "Vertrautheit" ist für einen breiten Einsatz neuer Navigationsparadigmen velleicht die wichtigste. Das dürfte auch erklären, warum alle bisherigen Versuche mit "visualisierten" Strukturen nie große Akzeptanz ausserhalb experimenteller Sandkästen fanden. So etwas ist den meisten Anwendern einfach zu neu und zu ... "komisch". Da muss man nicht einmal an VRML-basierte 3D-Konzepte denken - die immer sehr cool anzusehen waren. Selbst eher einfache, gradlinige Ansätze wie visualisierte, interaktive Topic-Maps sind bislang nicht auf übermäßige Begeisterung gestossen.
Aber eine Kombination von Suche, Querverweisen (mit Tagging und/oder lernenden Netzen) vereint nur vertraute Elemente neu und wäre m.E. mal ein größeres Experiment wert.
Wenn das klappt - und ich denke, es gäbe Ansätze, die nicht auf "All-or-Nothing" hinauslaufen, wäre das für das betreffende Unternehmen sicherlich ein netter PR-Coup ... zufriedenere Kunden gibt's kostenlos dabei.
Thesauri und Ontologien und semantische Suche. Super Sache das. Theoretisch. In der Praxis wühle ich mich 3x lieber durch einen Linkwulst als eine Ontologie zu bemühen. Beim Linkwulst muss ich nämlich nicht 4 Wissenschaftler beschäftigen, um zu einem für mich sinnvollen Ergebnis zu gelangen.
Es gibt hier zwar ein paar recht interessante Ansätze (siehe z.B. Ontobroker von Ontoprise), die in einem gewissen Kontext oder einem begrenzten Wissensfeld durchaus sinnvoll sein können, aber je offener das Feld ist (und Wikipedia ist hier ein extremes Beispiel), desto schwieriger wird es, diesen über eine Ontologie abzufackeln.
Posted by: heiko | Friday, 03 December 2004 at 16:44
sorry heiko, für das buzzword-dropping. ist mir hinterher auch aufgefallen und mir jetzt peinlich. wäre andererseits aber auch ein monstertext geworden, wenn ich zu allen diesen konzepten ausschweifende erläuterungen geschrieben hätte, was das ist und wie ich die in anwendungen integrieren möchte.
tatsächlich stecken hinter den meisten dieser buzzwords (in meinem artikel) aber konzepte, von denen der besucher der websites wenig bemerken würde - ausser an der besseren performance.
beispiel semantische analyse: eigentlich nur dazu da, den relevanten weizen von der umgebenden spreu zu trennen und den inhalt der seite für die software besser erschließbar zu machen.
und ein thesaurus ist für den anwender ja nur insofern relevant, als die suchmaschine nun auch synonyme findet. eigentlich keine schlechte idee, oder?
beispiel ontologie: im wissenschaftlichen und archivarischen umfeld sicherlich gelegentlich an der oberfläche zu sehen. ich hatte diesen ansatz aber nur deshalb gebracht, weil er - vielleicht - dafür verwendet werden kann, besser die links herauszusuchen, die man rechts neben dem text in der rubrik "siehe auch" bzw. "vielleicht auch für sie interessant" präsentieren kann. klassifizierung und kontext herstellen, also.
und das mit dem lieber "wühle ich mich 3x lieber durch einen Linkwulst" ist "so ne sache".bei kleinen sites mit max. ein paar hundert seiten ok. die größte website, an der ich die ehre hatte, mitbauen zu dürfen, hat eine hierarchische struktur, die teilweise 7 oder 8 ebenen tief ist. das macht kein anwender mehr gerne mit, weil auf jeder stufe eine entscheidung fällig ist, die bei weitem nicht so klar ist, wie sich diejenigen, die die hierachie aufstellen, das mal gedacht haben (und du kannst dir vielleicht vorstellen, wer bei solchen hierarchien alles mitreden darf ...) eine "falsche" wahl relativ weit oben führt da zu irrungen und wirrungen, die keinem spaß machen, der "nur mal schnell eben ..."
ich plädiere ja auch nicht dafür, gleich mit riesen-taxonomien oder dem ontologie-ansatz auf das proplem loszugehen, sondern vielleicht ein paar experimente mit meinem geliebten tagging zu machen. wenn jede seite von den paar tausend in einer normalen website (ich rede nicht von der wikipedia) ein paar sinnige tags trägt, ist es leicht, die von mir angedeuteten querverweise anzuzeigen. wenn ich diese querverweise dann noch danach gruppiere, welche weiteren tags diese anderen seiten auch noch trage (und tags vielleicht prioritäten gebe), käme da bestimmt eine sehr hilfreiche navigation heraus.
verknüpfe ich diese idee mit bayesian filtering oder einen neuronalen netz zur klassifizierung muss nicht einmal der autor selbst das tagging vornehmen. das kann nach einem training die software selbst (tatsächlich inzwischen recht gut).
so etwas könnte man tatsächlich mit typepad (oder MT) und "multiple categories" schon heute machen und mit leicht geänderten templates in die seiten pusten (da sind sie wieder, die advanced templates ...). nur ist die vergabe und insbesondere die nachträgliche änderung von "categories" aktuell derart klobig, wenn man das mal für ein paar hundert seiten machen möchte, dass das für den betreiber der website unpraktikabel ist.
das wäre ein experiment mit unsicherem ausgang, ok. ich plädiere ja nur, die uralten paradigmen hierarchisch-explorative navigation und volltextsuche (die beide tatsächlich immer schlechter funktionieren) mal zu überdenken, ihren nutzen zu relativieren, (simple) neue ansätze auszuprobieren ... abseits der ausgelatschen trampelpfade.
Posted by: Markus Breuer | Saturday, 04 December 2004 at 10:29