Der Mythos "Objektivität" ist ein sehr subjektiver. Bei Meinungsverschiedenheiten ist es üblich, dem Gegenüber Subjektivität vorzuhalten und für sich selbst eine objektive Betrachtung des Sachverhalts anzunehmen. Da das üblicherweise beide Parteien tun, fragt sich, wer (objektiv?) im Recht ist.
Aber, was ist mit den Profis der Nachrichtenverbreitung (und Meinungsmacher)? Gehört es nicht zum Berufsethos der Journalisten, "objektiv" zu bleiben? Nichts charakterisiert diesen Anspruch für mich bessser als das berühmte Zitat von Hanns Joachim Friedrichs, dem leider schon 1995 verstorbenen Urgestein des deutschen TV-Journalismus:
Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache ...
Ich denke tatsächlich, dass das ein Prinzip ist, dessen Beachtung manchem, der sich heute Journalist schimpft, extrem gut täte. Aber Objektivität ist das nicht unbedingt, wenn auch ehrenvolles Bemühen darum. Ich denke, dass es tatsächlich für einem Menschen nahezu unmöglich ist, Sachverhalte jenseits einfacher physikalischer Vorgänge "objektiv" zu beurteilen. (Interessantes - wenn auch nicht leicht verdauliches - Lesefutter zu Subjektivität /Objektivität/ Neutralität und Journalismus übrigens auch hier.)
Was ich berichte, wie ich das tue, was ich überhaupt des Berichtens für wert ansehe, ist für jeden Menschen und auch für einen Journalisten zutiefst durch eigene Weltsicht, Gefühle und (manchmal unbewußte) Interessen geprägt. Oder, wie Chris Shipley gestern bei DEMOletter schrieb:
No matter how hard they try, hundreds of tiny things influence their world view and creep into their stories. That's why objectivity is a myth. We can strive to be fair, and we can be bone-deep honest, but journalists can never be truly objective.
Und weil das so ist, sollten sich Journalisten damit abfinden und sich bewußt machen, dass "Objektivität" ein nie erreichbares Ziel ist, aber "ehrliche Subjektivität" einfach praktiziert werden kann: Leser, Zuhörer und Zuschauer müssen wissen, was mich subjekt macht/machen könnte. Transparenz darüber ist wichtiger als der Popanz "ich bin ein objektiver Journalist". Dafür muss ich offenlegen, was meine Weltanschauung, mein Glaube ist, wer mich bezahlt, was meine Freunde, meine wichtigen Beziehungen sind.
Das beschränkt sich nicht nur auf den Journalismus allein. Das betrifft in ganz ähnlicher Form auch Volksvertreter und die Angehörigen aller beratenden Berufe (siehe Ross und Reiter nennen!) ...und auch für Blogger wäre das guter Stil; ob sie sich nun als Journalisten gerieren oder nicht.
Eigentlich ist es doch ganz einfach: warum geben die Leute (nicht nur Journalisten, von denen es doch leider nicht sehr viele schon mit der Wahrheit, damit meine ich bewusste Nichtwahrheit, nicht ernst meinen) nicht einfach ihre Subjektivität zu und wenn sie schon von Objektivität sprechen, sollte der (wie du richtig sagst "ehrliche") Versuch dazu schon lobenswert sein.
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(Wieder hatte ich meinen Blick nicht im Griff, wieder der Schmerz)
Posted by: Guntram | Thursday, 27 January 2005 at 18:59
Auf die Gefahr hin dass Du's schon kennst: Dan Gillmor nennt das "The End of Objectivity". http://dangillmor.typepad.com/dan_gillmor_on_grassroots/2005/01/the_end_of_obje.html
Posted by: Martin Röll | Sunday, 30 January 2005 at 21:52
also ich habe beobachtet, daß das was gemeinhin als mainstream gilt am ehesten als "objektiv" verstanden wird. wenn ich also etwa meine der afghanistan-krieg mit der beteiligung der deutschen spezialtruppen sei ein verbrechen, dann bin ich nur deswegen subjektiv weil die vorherrschende meinung, die durch verschweigen und medien-präsenz des "friedenseinsatzes" etc. gefertigt wurde, eben eine andere ist.
Posted by: sum1 | Tuesday, 01 February 2005 at 00:41