Als ich vor ein paar Tagen den dann auch ein bisschen diskutieren Artikel über Kuckuckskinder (Was weckt die Kindesliebe im Mann?) geschrieben habe, erschien mir das Thema Vaterschaftstests in erster Linie noch als ein Prüfstein von "moralischen" (?) Wertvorstellungen und Liebesfähigkeit. Beim Blättern in der Wochenendausgabe der Süddeutschen wurde mir klar, dass dieses Thema aber nur eine Facette des sich wandelnden Verständnisses von Mann-Frau-Beziehungen ist. In dem lesenswerten Artikel "Die netten Jahre sind vorbei" von Sonja Zekri fiel mir zunächst die folgende Passage auf:
Deshalb ist es einigermaßen erstaunlich, dass die privaten Labors ihre heimlichen Gentests als psychohygienischen Befreiungsschlag anpreisen: Wenn der Vater erst schwarz auf weiß sehe, dass das Kind von ihm ist, werde der Familienfrieden schon wieder einkehren. Als würde der Test einen Mann mit einer Frau versöhnen, die er vor kurzem noch in einem fremden Bett vermutete. []… auf solche Ideen kann nur kommen, wer die emotionale Belastbarkeit von Männern und Frauen grotesk überschätzt.
Oder, könnte man sagen, wer Geld damit machen möchte und bei sich selbst sowie bei den betroffenen Männern kein schlechtes Gewissen wecken oder ein schon vorhandenes übertünchen möchte. Denn letztendlich steht hinter vielen solchen Tests trotz aller nüchternen Erklärungsversuche das atavistische Interesse, den Fortbestand der eigenen Gene – und nicht der Gene von anderen Männern – zu fördern.
Und dass ist nur einer von vielen Aspekten in Mann-Frau-Beziehungen (und vielen anderen "zwischenmenschlichen" auch), wo immer deutlicher wird, dass wir nicht aus unserer instinktgetriebenen Haut herauskönnen.
Im Detail:
Ein schönes Weltbild prallt auf die unschöne Realität
Diese Erkenntnis, dass manch "unschönes Verhalten" von Männern (und Frauen) schwerlich durch Vernunft und Liebe, durch simple evolutionsbiologische Egoismen aber sehr einfach zu erklären ist, steht natürlich in diametralem Gegensatz zu dem Welt- und Menschenbild, das meine Generation geprägt hat: dass der Mensch im Grunde ein vernunftgesteuertes Wesen und weitgehend ein Produkt seine Erziehung und der herrschenden Umwelteinflüsse ist. Oder, wie Sonja Zekri schreibt:
In den Siebzigern noch galt das Geschlecht als allenfalls anatomisch festgelegt, soziologisch aber als reines Konstrukt. Für Judith Butler war der Unterschied zwischen Mann und Frau eine Frage des Milieus und der Erziehung, nicht aber der Gene. So konnten Frauen sich neu erfinden und die Männer dazu zwingen, dasselbe zu tun: sanfter, fürsorglicher, „weiblicher“ zu werden.
Das konnte "die Männer" aber eben nicht wirklich ändern. Sicher, die Macht der Instinkte läßt sich bei einem vernunftbegabten Wesen innerhalb gewisser Grenzen im Zaum halten (sonst würden wir uns ja immer noch bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit der Keule der Schädel einschlagen). Aber für den Frust, den genetisch getriebenen Instinkten nicht nachzugeben, müsste es dann irgendeine Art der Kompensation geben. Mit dem befriedigenden Gefühl "was bin ich doch für eine feiner Mensch/Mann" allein, lässt sich die Mehrheit der Menschen nicht allzu lange motivieren.
Nach 30 Jahren stehen die Sitzpinkler ohne Lohn für ihre Mühen da
Und - leider - die, die sich aus unterschiedlichen Gründen heraus viel Mühe gegeben haben, der "neue Mann" zu werden, haben dafür (außer freundlichem Kopftätscheln) nicht einmal positives Feedback bekommen. Noch einmal Frau Zekri dazu:
Was für ein Irrtum! Inzwischen haben Dutzende Studien den Beweis geliefert, dass die meisten Frauen [...] doch nicht den Sitzpinklern den Vorzug geben, sondern Männern, die reicher, älter, größer und wichtiger sind; dass Männer umgekehrt Frauen wählen, die kleiner und jünger sind, während Chefgehälter und IQ bei Frauen deutliche Wettbewerbsnachteile darstellen.
Siehe dazu auch Warum Männer fremdgehen und Frauen immer die "falschen" Kerle abschleppen.
Der Idealismus und seine Grenzen
Was lernen wir daraus? Nun ja, sicherlich nicht, dass es Ok ist, wenn Männer Frauen verprügeln, "weil's die Evolution eben so vorgesehen hat..." Aber eben sicherlich auch nicht, dass "die Frau der bessere Mensch ist" und die Welt besser wäre, wenn Männer zu Frauen würden. Aus Frauen Männer machen ist auch kein sehr vielversprechenderes Projekt ...
Männer sind Männer, Frauen sind Frauen und das ist "Ok" - auch, wenn Männer "nicht zuhören" und Frauen nicht einparken können. Bis zu einem bestimmten Punkt kann man von Männern und Frauen sicherlich verlangen, dass sie ihr Handeln an post-steinzeitlichen Wertvorstellungen ausrichten. Bis zu einem gewissen Punkt ...
Aber zu erwarten, dass sie auch Gefühle entwickeln, die den tief verankerten evolutionsbiologisch begründeten Mechanismen widersprechen, ist nach dem aktuellen Stand der psychologischen und medizinischen Forschung schlicht und einfach "zu viel verlangt". (Diese Forschung hat parallel dazu übrigens auch ergeben, dass wir nahezu alle Entscheidungen weit mehr "mit dem Bauch" - also auf der emotionalen Ebene - treffen, als mit dem Kopf. Den verwenden wir erst hinterher, um die Bauchentscheidung zu rationalisieren...)
Zivilisatorische Entwicklung jenseits individueller evolutionsbiologischer Strategien ist möglich. Dazu gibt es in der menschlichen Kulturgeschichte einige Beispiele. Aber, wenn eine/r vom anderen verlangt, dass er sein Verhalten ändert, muss es dafür irgendeine Art von "Belohnung" (positives Feedback) geben. Bleibt die aus, ist jeder "Erziehungsversuch" zum Scheitern verursacht. Daran ist zum Beispiel das Projekt "Neuer Mann" gescheitert.
Konsequenzen?
Diese Erkenntnis mag einem "gefallen" oder auch nicht. Das bleibt der persönlichen Weltanschauung überlassen. Davon auszugehen, dass das nicht so ist, "weil's nicht darf"; dass man den Menschen nur ein bisschen gut zureden, sie "erziehen" muss etc. und schon hat man "den neuen Menschen" so, wie sich das manche in den 60er und 70er Jahren erträumt haben, ist eine Illusion. Auf politischer Ebene ist es eventuell eine gefährliche Illusion. Noch einmal Sonja Zekri:
Wenige Debatten haben dieses Krisengebiet aus ideologischen Relikten und evolutionären Atavismen, aus Selbsttäuschung und ökonomischen Zwängen so exakt vermessen wie der Streit um die Vaterschaftstest. Er ist mehr als eine Familienangelegenheit, er fördert das Spannungsfeld moderner Beziehungen so klar zu Tage wie Schwarzlicht Spuren von Zahnpasta.
Anders formuliert: die Frau, die bei Zweifeln (oder Sicherheit) an der Vaterschaft den Vaterschaftstest vermeiden will, handelt genauso evolutionsbiologisch egoistisch, wie der Mann, der mit dem Vaterschaftstest feststellen will, ob "sein" Kind, sein biologischer Nachkomme ist.
Da verhalten sich Männern und Frauen nicht prinzipiell anders und keiner "moralischer" als der Andere. Sich aus ideologischen Gründen (oder aus biologischer Parteilichkeit) auf eine der beiden Seiten zu stellen, ist sachlich und ethisch kaum zu begründen.
Ignoriert wird in der ganzen Diskussion leider oft die Frage: was nutzt eigentlich dem Schwächsten in dieser Konstellation, dem Kind? Entsprechende Argumente werden zwar immer wieder einmal von beiden "Parteien" in den Mund genommen. Aber - ehrlich gesagt - hege ich immer große Zweifel an weiblichen Argumenten in Sachen "Kindeswohl", wenn damit zugleich das materielle Wohlergehen der Frau gefördert wird - und genauso an männlichen Argumenten in dieser Richtung, die zufällig ganz nebenbei den Mann aus materiellen oder sozialen Verpflichtungen "befreien".
Es bleibt schwierig.
Da kann ich nur ohne Widerspruch zustimmen, und Du triffst einige Nägel auf den Kopf.
Allein stellt sich mir hier die Frage, wie es denn weitergehen soll? Nur die unentscheidbaren Fragen können wir entscheiden - wie diese Entscheidungen gefunden und ausfallen wird, wird sicherlich sehr interessant.
Insofern hast Du absolut recht; sachlich lässt sich diese Frage nicht eindeutig entscheiden. Ausgehend von der jeweils persönlichen Ethik (die dann allerdings ihrerseits nicht letztbegründet werden kann) allerdings vermutlich schon. Das ist die Kopfseite - auf der anderen Seite stimmt der Bauch noch mit ab.
Und dann noch die Unterscheidung zwischen der Entscheidung des einzelnen und die der Politik.
Schwierig? Ja. Aber auch sehr spannend ;-)
Posted by: Lars Marowsky-Brée | Sunday, 23 January 2005 at 16:05