Das klassische Werbung auf immer größere Reaktanzen stößt, ist eine Binsenweisheit. Das viele Konsumenten der Ansicht sind, dass "Werbung lügt" eine andere. Nicht zuletzt deshalb sind Ansätze wie Guerilla-Marketing und vor allem virale Marketing-Konzepte entwickelt worden. Sie basieren auf der Annahme, das persönliche Empfehlungen anderer Konsumenten weitaus glaubwürdiger sind als Plakate und TV-Spots und können durch Schneeballeffekte oft erstaunliche Wirkung mit minimalem Budget erzielen. Gerade das Web und speziell Weblogs eignen sich theoretisch ideal für diese Mund-zu-Mund- Taktiken (Siehe u.a. auch Erfolgsfaktoren für virale Marketing-Kampagnen).
Grundsätzlich spricht nichts gegen diese Ideen. Aber scheinbar finden sich zu jeder guten Idee ein paar Dummbeutel, die sie "clever" für sich nutzen wollen - und dabei kaputt machen. Denn immer noch betrachten offensichtlich auch seriöse (?) Marketing-Experten die "Opfer" ihrer Kampagnen als dummes Kosum-Vieh, das belogen und betrogen werden will.
Das ist nicht nur mieser Stil, es vertieft den schlechten Eindruck, den ein großer Teil der Öffentlichkeit von der gesemten Marketingbranche hat und zerstört dabei die Grundlage seriöser Mund-zu-Mund-Kampagnern: das Vertrauen.
Zur Erläuterung einmal zwei Beispiele aus jüngster Zeit, Marqui und BzzAgent ...
Beispiel Marqui
Das ist die von Marc Canter konzipierte Marqui-Kampagne, bei der Blogger gegen Honorar verpflichtet werden, regelmäßig etwas über die Software der Firma Marqui zu schreiben - nicht zwangsläufig positives. Der Firma geht es wohl in erster Linie darum, einigermaßen prominente Blogger zu gewinnen, um möglichst rasch den "Buzz" (das "Drüberreden") zu ihrem Produkt zu vergrößern.
Beispiel BzzAgent
Die Firma BzzAgent engagiert Konsumenten dafür, in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis neue Produkte bekannt zu machen. Sie zahlt in Naturalien und "Punkten" (die man in Naturalien umsetzen kann). Auch hier sind die Propagandisten nicht verpflichtet, Positives zu sagen. Wie viele "Punkte" es für ihre Aktivitäten gibt, entscheidet allerdings die Firma BzzAgent; das die einen Verriss honoriert, ist ... äääh, .... eher unwahrscheinlich.
Marqui und BzzAgent ähneln sich und sind doch grundverschieden
Die Marqui-Kampagne ist ein zwar vielfältig kritisierter aber m.E. diskutabler Ansatz. Weil mit offenen Karten gespielt wird.
Die Idee hinter den Kampagnen von BzzAgent sieht auf den ersten Blick ganz ähnlich aus. Ist sie aber nicht. Weil ein Großteil der Propagandisten eben nicht mit offenen Karten spielt, sondern so tut, als wären die lobenden Worte über das Produkt auf seinem eigenen Mist gewachsen und stammten nicht aus eine Broschüre von BzzAgent. Der "Code of Conduct" der Firme sagt zwar "A BzzAgent is free to talk about BzzAgent." Tatsächlich tun das viele BzzAgents aber eben nicht - aus nahe liegenden Gründen. Hier ein Auszug aus einem Artikel der amerikanischen Provinzzeitung Concord Monitor zum Thema BzzAgents:
[...] we learned that the Monitor, and perhaps you, had unwittingly been buzzed by Jason Desjardins of Bradford, one of the company's most successful buzz agents.
Desjardins wrote two brief reviews of books he received from BzzAgent. He submitted them in response to the Monitor's standing invitation to readers to send us brief comments about books they had read. We published them.
By telephone yesterday, Desjardins said [...] He did not realize that reputable newspapers would not knowingly publish anything that was part of an advertising campaign without saying so.
[...] All [campaigns like BzzAgents] appear to be based on the premise that the people who hear the sales pitch are unaware that they are the target of a marketing campaign. One BzzAgent even wound up giving a testimonial for a beauty product at her grandfather's funeral.
So the next time someone raves about a book or talks about a great new restaurant or the most comfortable shoes he or she has ever worn, we'll be wondering if the comment is an honest expression or just unwelcome stealth advertising.
Stealth-Marketing
Das ist "Stealth-Marketing", Marketing im Verborgenen, das den Konsumenten vorgaukelt, gar kein Marketing zu sein. So etwas mag kurzfristig effektiv sein. Sobald es herauskommt, stinkt es. Und der Jauchegeruch heftet sich an das beworbene Produkt - und die Marketing-Branche selbst.
Eine exzellente Übersicht mit bereits gelaufenen Viralen Kampagnen und einer wunderbaren Ausarbeitung des Unterschieds zwischen authentischem viralem Marketing und verlogenen Stealth Marketing gibts übrigens bei dem auch ansonsten sehr lesenwerten Marketing Blog Church of the Customer: Exposing stealth marketing.
Für mich liest sich geradezu pervers, wenn hier ein emeritierter Marketing-Professor und ein junger Accenture-Berater zitiert werden, die behaupten
Stealth marketing attempts to catch people at their most vulnerable by identifying the weak spot in their defensive shields. [...] The main objective is to get the right people talking about the product or service without it appearing to be company-sponsored.
Und da gibt es doch tatsächlich noch Marketing-Menschen, die sich wundern, warum einige ihre ganze Zunft für eine Bande von Lügnern und Betrügern halten. Es sind nicht irgendwelche Spät-Kommunisten und idealistischen Gutmenschen, die diese Ansichten fördern. Es sind die eigenen "Kollegen", die immer noch meinen, dass Marketing sich "gegen" die Konsumenten richten muss, um sie "dort zu treffen, wo sie am verletzlichsten sind".
Die Gegenwehr läuft an
Das Netz ist aber nicht nur dafür geeignet, Lügen mit noch nie zuvor gesehener Geschwindigkeit zu verbreiten. Genau so gut eignet es sich dafür, die Wahrheit zu verbreiten; und noch besser dazu, Konsumenten in Cluetrain-Manier miteinander ins Gespräch zu bringen und Verborgenes zu ent-tarnen, quasi zu ent-stealthen.
Wie wäre es mit einer Website auf der man Leute listen kann, die offensichtlich für ihre gute Meinung über spezielle Produkte - und dafür, dass sie die anderen unterjubeln - bezahlt werden? Genau das ist die Idee hinter Buzzmole. Zitat:
Did your friend get a little too enthusiastic in recommending that new product? Did you get her to admit that she's working for a "stealth marketing" company?
Are you signed up for a viral marketing campaign?
Reports to [email protected]
Keine schlechte Idee, oder? [via Doc Searls Weblog]
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