Ja - auch, wenn einige Kollegen dem scheinbar gut belegt widersprechen. Da schreibt der Kollege Pohlmann drüben im von mir ansonsten stets sehr geschätzen Fischmarkt:
Der falsche Mythos des Einfachen
[...] Ich möchte an dieser Stelle mit dem Mythos aufräumen, Apples Wesen sei EINFACH. Auch wenn ich mich bis zum Eintritt ins Rentenalter desavoiere: Weder der iPod noch iTunes sind einfach zu bedienen.
Und bringt dann noch einige Beispiel häßlicher und relativ komplexer Web 2.0 Projekte, um damit zu belegen, dass Einfachheit kein wichtiger Erfolgsfaktor für Web-Projekte ist.
Lieber Mark Pohlmann, ich wage es - selbst wenn mich das als feigen Konformisten ausweist - zu widersprechen.
- Apples "Wesen" (?) mag nicht einfach sein. Der iPod ist aber im Vergleich zu anderen Geräten mit ähnlichen Leistungsmerkmalen einfach zu bedienen. Als Beleg mag, genau wie bei Ihnen, der Selbstversuch dienen, ;-) Meine liebe Ehefrau, der eine Abneigung gegen technische Geräte zu unterstellen, eine bösartige Untertreibung darstellt, war innerhalb von drei Minuten klar, wie das Teil zu bedienen war. Alle Funktionalitäten, die sie wirklich interessierten, hatte sie in dieser Zeit erlernt und bis heute nicht vergessen.
- Viel wichtiger: nicht die Einfachheit (oder Usability) des "Device iPod" hat zu seiner Marktstellung geführt, sondern die Einfachheit des Systems iPod. Ohne lange auf die Gründe eingehen zu wollen: als iPod/iTunes auf dem Markt erschienen, gab es keine Kombination aus Abspieler, Musik-Shop und PC-Software, die auch nur annähernd so "usable" für Otto-Normalmusikhörer war. Ich habe keinen perfekten Marktüberblick, wage aber die Behauptung, dass das auch noch heute der Fall ist. Zu dieser System-Usability tragen viele Faktoren bei allen drei Komponenten bei (alle drei Komponenten sind meines Erachtens nach "einfach" für den gebotenen Funktionsumfang und erreichen das unter anderem durch Vericht auf selten Benötigtes). Der Markterfolg des iPod ist nicht Folge des "PR-Genies" Jobs oder irgendwelcher Verschwörungen von verwirrten Apple-Jüngern in aller Welt, sondern der "System-Usability" des Produkts.
- Wenn grottig aussehende Websites mit fragwürdiger Usability großen Erfolg haben, könnte das auch daran liegen, dass es keine direkten Wettbwerber mit besserer Usability gibt. Könnte!
Mal ein Blick in den Markt der Weblogs: die meine Wissens erfolgreichste Plattform für kostenfreies Bloggen (blogger.com) ist ein leuchtendes Beispiel für den Verzicht auf selten benötigte Features und durchdachte Usability.
Usability (oder meinetwegen "Einfachheit") ist sicherlich keine Erfolgsgarantie für ein Software-Projekt. Unter ansonsten vergleichbaren Startbedingungen wird, meiner Meinung nach, aber meist das einfachere Produkt in der Kundengunst gewinnen. Wenn es keine Alternativen gibt, diese deutlich zu teuer sind oder Features vermissen lassen, die ein großer Teil der Kunden wirklich will, mag auch Software, die "wie von Bill Gates persönlich entworfen" aussieht, ein Erfolg werden. Erfolg trotz mieser Usability nicht wegen Featurebloat und Komplexität. (Siehe auch Hässlich und erfolreich).
Ähhmmm .... das als Beispiel für "wichtigere Prioritäen als Einfachkeit" herangezogene SevenLoad sieht mir nicht gerade wie ein Ausbund an Komplexität aus. Wichtig für Usability ist übrigens nicht, dass die hinter einem System liegenden Funktionalitäten "simpel" sind. Die ggf. unvermeidliche Komplexität muß für den Benutzer nur (!) "einfach gemacht" werden. Das macht SevenLoad (auf den ersten Blick) sehr ordentlich.
Technorati Tags: net business, usability, ucd, web 2.0
Vielleicht haben die Begriffe Usability und Einfachheit den Herrn Pohlmann schlicht und einfach auf die falsche Fährte geführt. »User Experience« ist hier in meinen Augen der Erfolgsfaktor; dazu gehören *auch* Simplicity und Usability, aber genauso stark beeinflussende Faktoren sind ästhetisches Design, Image, der Spaß, Hedonismus, Joy of Use.
Posted by: Marcus | Friday, 18 August 2006 at 00:15