Eine der ersten Meldungen, die der neue Second-Life-Korrespondent von Reuters gestern veröffentlichte war die zu einem Wirtschaftsausschuss des amerikanischen Kongress, der sich aufmacht, virtuelle Welten wie Second Life zu untersuchen - letztendlich, um über kurz oder lang "Regulierungen" einzuführen: Steuern, Gesetze, Behörden.
"Oh Neiiiiiiin!" werden da viele schreien, nicht nur in den bekannt freiheitsliebenden USA. Denn schließlich hassen wir doch alle Steuern oder? Nein, ich zum Beispiel nicht. Von persönlichen Vorlieben abgesehen, wäre es aber völlig naiv, anzunehmen, dass sich Regierungen nicht mit Geschäften in virtuellen Welten beschäftigen würden. Schließlich werden hier schon heute gewaltige Summen umgesetzt. So werden nur an der offiziellen Devisenbörse von Second Life täglich mehr als 50.000 Dollar gehandelt. Das "Bruttosozialprodukt" lag letztes Jahr über 150 Millionen US$ - und das bei Wachstumsraten von 12% - 15% pro Monat. Diese Wirtschaft ist nahezu komplett unreguliert und zieht natürlich auch windige Gestalten magisch an.
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Das Regierungsbehörden sich dafür interessieren, wenn Einzelpersonen hier beginnen Geschäfte zu führen, mit denen - auch für "reale" Verhältnisse - nennenswerte Gewinne erzielt werden - und das alles ohne prüffähige Buchhaltung - ist mehr als nahe liegend.
Es ist aber nicht die Gier nach entgehenden oder neuen Steuereinnahmen, die Behörden ein Auge auf virtuelle Welten werfen lässt. Was leicht vergessen wird, ist, dass Gesetze und Regularien nicht nur Bürokratie schaffen, sondern "den kleinen Mann" schützen. In der Anarchie - die heute in den meisten virtuellen Welten herrscht - gilt das Gesetz des Stärkeren bzw. des Mob. Erst der Jahrhunderte dauernde Übergang zu einem Rechtsstaat hat in der physischen Welt dazu geführt, dass in vielen Staaten die Menschen heute ihres Lebens und Hab-und-Guts relativ sicher sein können.
Bezeichnend für die Risiken eines Lebens und Wirtschaftens im rechtsfreien Raum ist das Interview, das Adam Reuters mit Nicholas Portocarrero geführt hat, dem Chef der größten "Bank" in Second Life. Das ist schon ein kleines Meisterstück des neutralen - und doch entlarvenden - Journalismus. Ginko Financial, die erwähnte Bank, ist eine Gründung des in Südamerika lebenden Geschäftsmanns, der für sein Business in Second Life eine Truppe von coolen Script Kiddies um sich gescharrt hat. Ginko zahlt aktuell knapp 50% Zinsen p.a. (sie waren einmal mal bei über 100%), vergibt keine Kredite, investiert laut Aussagen des Managements ausschließlich "in sich selbst" - und ist selbstverständlich völlig seriös und ehrlich. Portocarrero findet übrigens jede Form von Regulierung oder Aufsicht völlig überflüssig und uncool. Da sehnt es mich doch schon nach der BaFin ...
Einfach wird "Aufsicht" und Gesetzgebung in Second Life aber nicht werden. Denn - anders als ein amerikanischer Kongressausschuss das vermutlich sehen wird - wäre es m. E. absurd, eine virtuelle Welt wie Second Life als der amerikanischen Gerichtsbarkeit oder Steuerhoheit unterliegend anzusehen. Das Faktum, dass die Server in San Francisco stehen, scheint mir dafür eine sehr dünne Grundlage zu sein. Die können morgen auch in Singapur, Weißrussland oder in Südchina stehen - und es wäre für die Einwohner und Geschäftsleute immer noch die selbe Welt.
> wäre es m. E. absurd, eine virtuelle Welt
> wie Second Life als der amerikanischen
> Gerichtsbarkeit oder Steuerhoheit
> unterliegend anzusehen
Scherz: Glaubst Du, die USA würden das der UNO überlassen?
Außerdem, zunächst mal ist SL ein Produkt einer amerikanischen Fa und unterliegt damit dem US-Gesetz. Daß Ausländer dieses Produkt auch nutzen, ändert ja nichts daran.
Posted by: Jürgen Tepe | Tuesday, 17 October 2006 at 13:41
Es geht nicht um die Frage der Gesetzgebung zu einem US-amerikanischen "Produkt" (wenn denn Second Life überhaupt als "Produkt" angesehen werden kann. Es ist mehr eine Kommunikations- und Entwicklungsplattform), sondern über die Jurisdiktion zu den unter Mithilfe dieser Plattform zustande gekommenen Geschäften, zu den mittels dieses Werkzeugs geschaffenen urheberrechtlich schutzfähigen Werken.
Wenn ich als Deutscher mit Deutschem Wohnsitz über die US-amerkanische Plattform eBay.com Geschäfte mache und dabei Gewinne erziele, unterliegen ich der Deutschen nicht der US-amerikanischen Besteuerung. das wird nicht einmal Dick Cheyney bestreiten; bei George Bush wäre ich mir nicht so sicher. Wenn ich als Deutscher mit einem US-amerikanischen Softwareprodukt wie PhotoShop ein schützenswertes Werk erstelle und das an eine Deutsche Firma lizensiere, unterliegt das Deutschen Recht - wenn ich die Lizenz einem US-amerikanischen Unternehmen verkaufe, wird es im Streitfall spannnend; genauso übrigens, wie es mit Fragen der Jurisdiktion im Fall eines eBay-basierten Geschäfts zwischen Bürgern unterschiedlicher Staaten der Fall ist.
Das nur als kleine Anekdoten zu einem sehr komplexen Themenfeld, das in ähnlicher Form schon lange im Internet existiert. Neu wäre in einer virtuellen Welt allerdings die Frage "auf welchem Boden" zivilrechtlich relevante Vorfälle stattfinden, die nicht durch durch explizite Verträge zwischen den Betroffenen geregelt wurden.
Posted by: Markus Breuer | Tuesday, 17 October 2006 at 14:38