Zumindest eine typische Haltung "seriöser" deutscher Journalisten (in anderen Ländern scheint das seltener zu sein) gegenüber virtuellen Welten scheint die Sorge um die Verwahrlosung und Vereinsamung der Jugend zu sein. Wenn nicht gerade Online-Welten mit Ego-Shootern verwechselt werden, so wird doch zumindest häufig davon ausgegangen, dass sie ein gefährliches suchtauslösendes Potential haben. Der pickelige Jüngling, vereinsamt im Keller vor dem PC und ohne nennenswerte Kontakte im "echten" Leben, so sieht das Klischee aus.
Interessant an dieser Ansicht ist unter anderem die Tatsache, dass manche Zeitgenossen das als kaum bezweifelbaren Fakt ansehen und ggf. sogar beleidigt reagieren, wenn man das in Zweifel zieht. Heikel sind auch Fragen nach Belegen für diese These. Schließlich kann man doch immer wieder einmal warnende Worte von Experten (echten Wissenschaftlern!) zu diesem Thema in der Zeitung lesen. Und wenn es dch in der Zeitung steht und ein richtiger Professor oder Dr. warnend die Stimmer erhebt ...
... dann ist das zunächst einmal eine These wie jede andere auch. Tatsächlich ist es schwierig, Belege dafür zu finden, dass die Beschäftigung mit dem PC allgemein (auch die intensive) oder die intensive Nutzung von Online-Rollenspielen oder virtuellen Welten in signifikantem Umfang zu Verhaltensänderungen in Richtung soziale Isolation, Suchtverhalten gesteigertes Aggression, psychotischen Symptomen etc. führt.
Selbstverständlich gibt es einzelnen Beispiele, die man so auslegen kann und die für sich alleingenommen, diese These zu bestätigen scheinen, aber das ist das, was man "anekdotische Evidenz" nennt. Ich konnte tatsächlich keine seriöse Studie finden, die solche Annahmen in wissenschaftlich belastbarer Form belegen würde.
Die einzige seriöse Studie zum Thema (gefunden im sehr lesenswerten Psychologie-Blog), die mir im deutschen Sprachraum untergekommen ist, kommt zu dem amüsanten Fazit:
Interessanterweise waren ausgerechnet diejenigen Befragten, die sich besonders skeptisch über MUDs äußerten, selbst am stärksten von der realen Gesellschaft entfremdet.
Diese Studie ist zwar schon von 2001. Die Wirkmechanismen der dort untersuchten Plattformen (u. a,. eine frühe Online Welt, Ultima Online) sind aber dieselben wie bei modernen Online-Rollenspielen und virtuellen Welten. Und die Sorgen waren damals die selben wie heute. Es sind übrigens ähnliche Sorgen, wie sie Eltern früher umtrieben, wenn sich der Nachwuchs mit "Schundromanen" beschäftigte, zuviel Fernsehen konsumierte etc. Und tatsächlich gab es schon im 19 Jahrhundert Sorgen, dass die aufkommenden öffentlichen Bibliotheken und das dadurch provozierte Lesevergnügen gerade junge Menschen von der gesunden Bewegung an der frischen Luft abhalten würden. Eskapismus, die - wenn auch nur vorübergehende Flucht aus der realen Welt wurde von den fest im wirklichen Leben verwurzelten Erwachsenen noch nie für gesund empfunden.
Nicht, dass hier Missverständnisse aufkommen: ich denke, dass virtuelle Welten und Online-Rollenspiele bei Menschen mit gewissen Arten von psychischen Störungen zu Formen des Mißbrauchs bis hin zu suchtähnlichem Verhalten führen können - wie jede Art von befriedigender Beschäftigung bei diesen Menschen grundsätzlich Suchtformen annehmen kann. Hier sollte man aber Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Wie mit solchen Problemen sinnvoll umgegangen werden kann, beschreibt zum Beispiel das Interview Understanding and Dealing with Gaming Problems mit der MMO-erfahrenen Psychologin und Therapeutin Shavaun Scott. Ebenfalls sehr lesenswert.
Neben dem vorhanden Missbrauchspotential haben virtuelle Welten und die sich darin bildenden Gesellschaften auch interessante positive Einflüsse auf die Persönlichkeitsentwicklung. Noch einmal die erwähnte Studie
Es zeigte sich hier, dass Mudder im Unterschied zu Nicht-Muddern eher eine kosmopolitische Identität haben (dies trifft besonders auf diejenigen zu, die an englischsprachigen MUDs teilnehmen, S.147), dass sie sich stärker an individualistischen Werten orientieren und mehr Wert auf selbstgewählte Bindungen legen. Diese "postmoderne" Haltung geht jedoch nicht mit verringertem gesellschaftlichen Engagement etwa im Hinblick auf politische Partizipation oder Vereinsmitgliedschaft einher. UTZ resümiert, dass virtuelle Gemeinschaften deshalb keine Bedrohung für die Gesellschaft darstellen, sondern eher zusätzliche Identifikationsmöglichkeiten bieten.
Dies kann man übrigens ebenfalls in Second Life sehr schön beobachten, wenn man das Verhalten der Menschen, die man dort kennen lernt, über längere Zeit hinweg beobachtet und reflektiert. Dazu muss man sich aber erst einmal in eine solche Welt trauen - und nicht nur einzelne, auffällige Anwender beobachten und Sekundärliteratur auswerten ...
Technorati Tags: second life, web 3.d
Zitat aus: Bistdufrei.de - Bedienungsanleitung für die persönliche (R)Evolution
Das Fernsehen ist heute der Hauptvertreter der Massenmedien. Sicherlich ist es das wichtigste Instrument zur Wiederholung und Fixierung der bestehenden Zustände. Dass Fernsehen an sich schon dazu verleitet, es falsch zu benutzen, liegt an der intensiven Sinnesansprache bei gleichzeitiger körperlicher Passivität. Man befindet sich beim Fernsehen in einem rein konsumierenden Zustand, der kein teilnehmendes eigenes Handeln zulässt. Dass es den einzelnen Sendern um Einschaltquoten geht, bedeutet nicht weniger, als den schwächsten Punkt der Anfälligkeit der Zuschauer zu finden, um sie zu irgendetwas Nutzlosem zu verleiten. Schon diese Tatsache allein führt den Wunsch von Politikern, Erziehern oder gar den janusköpfigen Sprechern des kommerziellen Fernsehens selbst, das Fernsehen möge bedacht benutzt werden, weitgehend ad absurdum. Die gesellschaftliche Wahrheit sieht wohl so aus, dass wir uns immer weiter in die Gefangenschaft vorgefertigter Meinungen begeben.
Individuell gesehen, treten die Fallen des Fernsehens deutlich in zu langem Konsum auf, dem wahllosen Aneinanderreihen von Filmen, Unterhaltungssendungen und Infotainement. Die Motivation besteht nicht mehr darin, etwas zu erleben oder zu unternehmen, man möchte häufig nur abschalten. Die Animation des Tages wird im Betrachten standardisierter Meinungen über andere fortgesetzt.
Herzliche Grüße
[email protected]
http://www.bistdufrei.de
http://vorleser.blog.de
Posted by: Martin FickingerMartin Fickinger | Wednesday, 16 May 2007 at 18:49