Wenn ich aktuell bei Beratungskunden Second Life und virtuelle Welten vorstelle, werde ich immer wieder gefragt, warum sich der Hype momentan so stark um Second Life dreht und nicht um die anderen virtuellen Welten mit teilweise größeren Benutzerzahlen. Oft wird die Vermutung geäußert, das Linden Lab (die Betreiberfirma) einfach bessere PR treibt. Tatsächlich hat Linden Lab bis Ende Oktober 2006 nur einen sehr geringen Aufwand für PR und nahezu keinerlei Aufwand für Marketing getrieben.
Dieser Erfolg von Second Life basiert im Wesentlichen auf drei Faktoren
- Thematische Offenheit
Second Life ist nicht wie andere Plattformen in ein bestimmtes thematisches Korsett (typischerweise aus dem Umfeld von Fantasy oder Science Fiction) gezwängt. Anwender und Entwickler bestimmen das Setting, sie gestalten die Welt komplett selbst. - Nutzergenerierte Inhalte
Nahezu alles, was ein Anwender in Second Life zu sehen bekommt, ist von anderen Anwendern gestaltet und kreiert. Dieses Erfolgsprinzip des Web 2.0 hat es der Betreiberfirma erlaubt die virtuelle Welt sehr rasch zu vergrößern. - Marktwirtschaftliche Prinzipien
Zu einer Zeit, da andere, vergleichbare Plattformen den Handel mit „virtuellen Gütern“ streng verboten und verfolgt haben, räumte Linden Lab seine Kunden die vollen Urheber- und Nutzungsrechte an allen ihren Schöpfungen ein und fachte so die Produktivität und eine rasant wachsende virtuelle Volkswirtschaft an. Die Abbildung rechts unten stellt Mall mit einem Dutzend Shops dar. Alles, was dort zu erwerben ist, wurde zuvor von Anwendern selbst kreiert.
Die Wichtigkeit des Aspekts thematische Offenheit dürfte klar sein: Für Unternehmen aus der physischen Realität mit Angeboten aus der heutigen Zeit ist es schwierig bis unmöglich, sich neben Drachen und Orks oder in Raumhäfen zu präsentieren. Zu den beiden anderen Punkten: ...
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User-generated Content
Das, was Second Life von allen anderen, zunächst ähnlich erscheinenden, Angeboten unterscheidet, ist die Tatsache, dass nahezu alles, was der Anwender in dieser Welt zu sehen bekommt, von anderen Anwendern geschaffen wurde. Das betrifft sowohl die Landschaft, in der sich die Avatare bewegen, Gebäude, Fahrzeuge, virtuelle Möbel, ja, selbst die Avatare und ihre Kleidung sind typischerweise von Anwendern erstellt. Die Betreiberfirma stellt lediglich die Plattform selbst bereit, sowie die Werkzeuge, mit denen darauf Inhalte erstellt werden können.
Dies ist mehr als ungewöhnlich. Bei allen vergleichbaren Angeboten stellt typischer die Hersteller- und Betreiberfirma zumindest die Gestaltungselemente bereit. Die Anwender können diese Elemente (zum Beispiel virtuelle Gegenstände) dann zwar in der Welt platzieren und bewegen, aber keine wirklich neuen schaffen. Typisch für die meisten anderen MMO-Plattformen ist es sogar, dass umfangreiche Teams der Betreiberfirma, bestehend aus hochdotierten Designern, 3D-Konstrukteuren und Programmieren die Welt nach einem klaren Konzept „erschaffen“ und die Avatare lediglich in diesen vorgefertigten Strukturen interagieren können.
Auf Plattformen wie There (Mekana Corporation) und dem ehemals recht beliebten The Sims Online (Electronic Arts) gibt es zwar rudimentäre Möglichkeiten für benutzergenerierte Inhalte. Diese sind aber sehr stark eingeschränkt und von der Betreiberfirma reglementiert.
Dies ist in Second Life anders: jeder Anwender kann hier jederzeit beliebige Objekte kreieren, ohne dass die Betreiberfirma das in irgendeiner Form reguliert – von markenschutzrechtlichen Erwägungen abgesehen. Häuser, alle Bauwerke, Autos, Flugzeuge, Möbel, Kleidung, Schuhe, Schmuck – alles das sind in Second Life benutzergenerierte Inhalte. Die entsprechenden Funktionalitäten sind in der normalen Client-Software (vergleichbar dem Browser für die Betrachtung von Internetseiten) standardmäßig integriert.
Nach Herstellerangaben nutzen derzeit ca. 10% der Anwender diese Möglichkeit und setzen damit ein gewaltiges kreatives Potential frei. Ähnlich wie die erfolgreichen Web-2.0-Plattformen MySpace, YouTube etc. sind es gerade die von Anwendern geschaffenen Inhalte, die das Angebot für die restlichen 90% der Anwender interessant machen. Die Ergebnisse mögen im Einzelfall als geschmacklos und häufig als phantasielos empfunden werden. Einzelne Gestalter der virtuellen Welt sind aber ausgesprochen kreativ und innovativ. Sie sind nicht nur verantwortlich für die erstaunliche Attraktivität dieser „Welt“ für neue Anwender, sondern haben über die Vermarktung ihrer Erzeugnisse letztendlich auch eine boomende Wirtschaft geschaffen. Mehr dazu weiter unten.
Die Entscheidung, von Anfang an den Ausbau der Welt den Anwendern zu überlassen, hat das rapide Wachstum der Welt auch erst möglich gemacht. Die Betreiberfirma wäre ansonsten überhaupt nicht in der Lage, ein Wachstum von 20%/Monat zu unterstützen.
Die Volkswirtschaft von Second Life
Der Ansatz „usergenerated Content“, der – neben der Werbefinanzierung – der entscheidende Treiber für den Erfolg des Web 2.0 ist, wird bei Second Life bis zum Extrem getrieben. Anwender können – und müssen für das fortgesetzte Wachstum der virtuellen Welt – nicht nur eigene Inhalte erstellen. Sie können diese auch andere Avatare verkaufen.
Wie in einer entwickelten Ökonomie der physischen Realität wird hier kaum ein „Einwohner“ ein Haus, ein Auto, Möbel oder Kleidung selbst herstellen – obwohl er dies theoretisch könnte – sondern bei spezialisierten Herstellern kaufen. Bezahlt wird dafür in der „Landeswährung“, dem Linden-Dollar, kurz L$.
Die Herstellung und der Vertrieb von virtuellen Gegenständen – vor allem von Kleidung, Häusern, Fahrzeugen sowie auch von Kosmetik etc. – ist tatsächlich ein boomender Markt. Die hier erzielbaren Umsätze sind ausreichend, dass einige Anwender ihren (realen) Lebensunterhalt damit verdienen. Einkommen zwischen einigen hundert Dollar und einigen tausend Dollar pro Monat sind möglich und werden erzielt.
Möglich ist das dank einer zweiten Besonderheit der Binnenwirtschaft von Second Life, die in dieser Form ebenfalls auf keiner anderen Plattform zu finden ist: Anders als bei Online-Spielen wurde die Landeswährung bei Second Life relativ rasch offiziell als konvertibel erklärt und wird heute über mehrere Devisenbörsen gehandelt. Dabei handelt ist sich echte Börsen.
Das heißt, es ist nicht die Betreiberfirma, die „Monopoly-Geld“ gegen US-Dollar verkauft. Sondern Anwender der Plattform handeln untereinander Linden-Dollar (die Landeswährung) und US$. Die Wechselkurse schwanken dementsprechend sekundenaktuell und liegen zur Zeit bei ca. 270L$/1US$.
Nicht lachen, bitte. Das ist schon "richtiges Geld". Richtig, in dem Sinne, dass ich mir davon etwas kaufen und letztendlich meinen (reellen) Lebensunterhalt bestreiten kann.
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