Wenn ich heute mit Kunden nach der ersten tiefer gehenden Vorstellung von Second Life zusammensitze, beginnt oft die heikle Phase im Akquise-Prozess: oft müssen dem potentiellen Auftraggeber "gute Ideen" ausgeredet werden.
Denn nicht alles, was auf den ersten Blick für ein Projekt nahe liegend und logisch erscheint, macht wirklich Sinn. Second Life und andere virtuelle Welten sind zwar in vielen Aspekten Abbilder der ersten Lebens, der physischen Realität. Aber nicht jedes, aus der physischen Realität vertraute, Geschäfts- oder Kommunikationsmodell funktioniert hier. Am schlechtesten funktioniert "wir bauen 'mal ein cooles Gebäude und stellen da ein paar Produkte und Info-Tafeln hin."
Das viele Ideen in Richtung solcher Sackgassen laufen, liegt nicht an der Naivität meiner Gesprächspartner. Jede Menge schlaue Laute kommen immer wieder auf solche Ideen. Viele Projekte aus dem ersten Jahr der Aktivitäten von Marken aus der realen Welt machen das deutlich. In vielen diesen Konzepte spielen spektakuläre Baumaßnahmen eine viel zu große Rolle.
Da ist so ein bisschen das Spielzeugeisenbahn-Prinzip am Werk - auf Auftraggeberseite wie auch bei den ausführende Agenturen. Wer hat denn in der physischen Realität schon die Gelegenheit, ein größeres Gebäude zu planen und in die Welt zu setzen - und dabei mal so richtig aus dem Vollen zu schöpfen? Die entsprechenden Abbildungen machen sich auch gegenüber dem jeweiligen Vorgesetzen gut. Darunter kann sich schließlich jeder etwas vorstellen.
Für den Projekterfolg ist das aber selten relevant. Es schadet (meist) nicht, trägt aber wenig dazu bei, Kunden zu gewinnen und zu begeistern. Das Geld wäre anderswo besser angelegt. Denn man darf ja nicht vergessen, dass es bei den wenigsten Unternehmen zur Kernkompetenz gehört, Gebäude zu errichten. Und während ein großes Gebäude in der physischen Realität immerhin noch einen Eindruck von Größe, Macht und Solidität vermittelt, weiß jeder Anwender, dass in einer virtuellen Welt nicht viel Geld benötigt wird, um beeindruckende Prachtbauten aufzustellen.
Diese sind aber leider oft nach kurzer Zeit Geisterstädte. Was sollte Kunden auch bewegen, hierher zu kommen - wenn Sie sich nicht gerade für virtuelle Architektur begeistern?
Mein alter Second Life-Freund Forseti Svarog (im ersten Leben Giff Constable und für die Produktentwicklung bei der Agentur Electric Sheep verantwortlich) hat es in einem seiner letzten Blog-Posts auf den Punkt gebracht:
I still think too many RL companies (and their ad agencies) are excessively focused on the build and the products (the THINGS), when really they need to focus on people, human connections, and community. [...] Image IS important, and a brand should want nothing but the best, but you have to keep an eye on the big picture. For the brands themselves, I don’t know whether it’s because the first thing they imagine is “my store and products into a new world!”
To me, the most exciting projects in Second Life right now are about people and community, not about “things”.
Nicht von ungefähr sind das auch die Projekte mit der größten Reichweite (selbst, wenn die Reichweite zunächst nicht im Vordergrund stand). Projekte dieser Art, wie Virtual Laguna Beach, Motorati und The L-Word weisen die größte Bekanntheit auf, haben die größten Traffic-Zahlen und die beste PR-Wirkung (weil selbst Journalisten merken, das hier etwas "funktioniert" während die Bauten der anderen Projekte nur schick aussehen).
Deswegen sind die Projekte nach dem Motto "Wir steigen erstmal klein ein, stellen da unsere Firmenzentrale oder zwei drei Produkte hin und sehen, ob virtuelle Welten etwas für uns sind" auch mehr oder wenige sinnlos weil wenig aussagekräftig. So etwas kann in dem meisten Fällen nicht funktionieren - und wird es dann auch nicht. Das liegt aber nicht daran, dass virtuelle Welten für dieses Unternehmen unbrauchbar wären, sondern daran, dass man sie falsch verstanden hat.
Virtuelle Welten sind heute in allererster Linie Kommunikationsplattformen (wofür das Avatar-Prinzip wichtig ist). Sie sind gut für intensive Kommunikation mit kleinen bis mittelgroßen Teilmengen der Zielgruppe. Sie sind perfekt, um Communities zu bauen, die ihre Mitglieder intensivst involvieren. (Das wird sich in den nächsten Jahren noch ändern, beschreibt aber den Zustand Mitte 2007.)
Communities, die Interessenten dauerhaft binden, kann man aber nicht nach dem Fire & Forget-Prinzip aufbauen. Der wichtigste Teil der Arbeit beginnt, nachdem die eigene Insel eröffnet wurde, mehr dazu unter 10 Tipps für Markenunternehmen auf dem Weg ins Web 3.d.
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Diesem Artikel kann ich mit meinen Erfahrungen, welche ich bisher in SL gemacht habe, zu Einhundert Prozent zustimmen. Sehr guter und wichtiger Beitrag!
Gruß TOM
Posted by: Vin Tomsen | Tuesday, 15 May 2007 at 10:41
Ich habe gerade "Virtual Laguna Beach" besucht um festzustellen was dort so besonders ist - und konnt nichts entdecken... Bin ich blind ???
danke für Aufklärung :)
Bernd
Posted by: Bernd Sommerfeld | Tuesday, 22 May 2007 at 17:01
Sorry, mein Fehler: ich war unpräzise. Virtual Laguna Beach ist Teil des vMTV-Projekts. Der Prototyp dazu wurde in Second Life errichtet und ist tatsächlich immer noch sichtbar. Das Projekt wurde inzwischen aber - wie auch hier berichtet - auf eine MTV-eigene virtuelle Welt auf Basis von "There" portiert.
Posted by: Markus (Pham Neutra) | Tuesday, 22 May 2007 at 17:56