Wer Ende letzter Woche die Veröffentlichungen zum Thema Second Life verfolgte, konnte nicht umhin, eine gewisse Schadenfreude bei einigen Publikationen zu verfolgen. So titelte zum Beispiel ZDNet "Second Life-Bevölkerung vom Aussterben bedroht"
Der Hype um die virtuelle Welt Second Life ist vielleicht schon bald Geschichte. Wie aktuelle Zahlen der Linden Lab belegen, sind die aktiven Nutzerzahlen im Juni bereits wieder um 2,5 Prozent gesunken. Und auch das Wachstum der Population insgesamt erreichte das niedrigste Niveau der vergangenen sechs Monate. Noch ist unklar, ob es sich nur um eine vorübergehende Flaute oder schon um das Ende der Second Life-Hysterie handelt. Allmählich wird jedoch deutlich, dass die virtuelle Welt nicht das halten kann, was sie zunächst versprochen hat was sie zunächst versprochen hat beziehungsweise was sich viele Unternehmen erhofft hatten.
Und ein rundes Dutzend Blätter übernahm die Story unkommentiert. Das passt natürlich wunderbar in den aktuellen Antihype der Presse um Second Life - und ist völliger Blödsinn. Tatsächlich schwächt sich das Wachstum von Second Life momentan ab. Tatsächlich habe ich da schon im Mai drüber geschrieben. Wenn das WACHSTUM einer Population langsamer wird, dieser gleich das Aussterben vorherzusagen, ist schon ... na ja, sagen wir mal "ein wenig spekulativ".
Die Benutzeranalysen der Betreiberfirma, die dieser Interpretation zugrunde liegen, verzeichnen im Juni 2007 übrigens eine Steigerung der in der virtuellen Welt verbrachten Stunden von 5% auf den Vormonat. Und eine monatliche Steigerungsrate von 5% entspricht immerhin noch fast einer Verdopplung pro Jahr. Tatsächlich sind 5% pro Monat ein deutlicher Abfall gegenüber den Vormonatswerten von 15% - 20% pro Monat. Wer sich aber die Mühe macht (ach ja, "Mühe machen" ...) die weiteren Angaben in diesen Daten zu prüfen, wird feststellen, dass auch 2005 und 2006 die Nutzung der Plattform im Juni nur um 5% wuchs und nachher wieder mit 10% bis 20% weitermachte. Man könnte auch von einem Sommerloch sprechen ...
Viel spannender finde ich, dass in diesen neuesten Daten Brasilien auf einmal auf Platz 3 der Second Life Nationen gerutscht ist. (Auf Platz 2 hinter den USA liegt immer noch Deutschland). Brasiliens Aufstieg spielte sich innerhalb von nur 3 - 4 Monaten ab und der Grund dafür ist schlicht und einfach die Tatsache, dass es seit dem Frühjahr ein Unternehmen in Brasilien gibt, das richtig Marketing für Second Life betreibt, eigene Support-Strukturen aufgezogen hat usw.
Man stelle sich einmal vor, so etwas gäbe es in anderen Ländern auch. Wie rasch dann SL wohl in den sicheren Tod wachsen würde?
Damit keine Missverständnisse aufkommen: auch ich glaube nicht, dass Second Life in der derzeitigen Form Benutzerzahlen wie das heutige Inernet erreichen wird. Dafür gibt es viele Gründe, die ich alle schon auf diesen Seiten aufgelistet habe. Das Wachstum der aktiven Anwender wird sich verlangsamen und - für das heutige Second Life - bei einigen Millionen oder bei niedrigen zweistelligen Millionenzahlen ein Plateau erreichen. Das heisst aber nicht, dass das die Grenzen des Wachstums für virtuelle Welten sind. Offene Plattformen für virtuelle Welten - und dazu könnte Second Life u.a. gehören - werden einen großen Teil der heutigen Internet-Bevölkerung erreichen. Siehe dazu auch die Prognosen der Unternehmensberatung Gartner. Aber auch die Differenzierung zwischen Second Life und virtuellen Welten ist vermutlich für die Mehrzahl der Artikel zu diesem Thema "zu schwierig für unsere Leser".
Was mir in diesem Zusammenhang wieder einmal auffällt, ist das Qualitätsbewußtsein des Qualitätsjournalismus. Ich muss zugeben, dass ich vor "richtigen Journalisten" einen recht hohen Respekt hatte - bevor ich zunächst im Umfeld der Weblogs und dann im Kontext virtueller Welten selbst etwas mehr Einblick bekam. Inzwischen bin ich weitgehend desillusioniert. Tatsächlich praktizieren die Profis exakt das, was sie gerne den Laien (Bloggern im Web) vorwerfen. Einer schreibt vom anderen ab. Recherchiert wird - wenn überhaupt - nur für die Top-Artikel. Seufz.
Wie sagte schon Mark Twain:
Die Nachrichten von meinem Tode sind stark übertrieben.
Technorati Tags: second life, virtual worlds, web 3.d
Sommerloch - mehr nicht.
Posted by: Peter Stindberg | Monday, 16 July 2007 at 14:03
Second Life ist als Thema langsam gegessen denke ich.Siehe auch:
http://www.internetworld.de/home/news-single/article/marketer-verlassen-scharenweise-second-life.html
Muss nicht heissen, dass virtuelle Welten an sich keinen Fortbestand haben werden und auch SL hat als besseres Onlinespiel sicher seine Berechtigung; aber der Hype um SL ist zum Glück langsam vorbei und nun wird sich zeigen, wieviel Substanz übrig bleibt.
Posted by: Frank | Tuesday, 17 July 2007 at 16:01
Hi Frank, sicherlich muss man mit jedem Projekt und in jedem Medium sehen "wieviel Substanz übrig bleibt". Und da sieht es sicherlich um einige Projekte auch in Second Life schlecht aus. "Einfach nur da sein" begeistert und bindet keine (potentiellen) Kunden. Tatsächlich gibt es einige Dutzend Projekte auch renomierter Brands, die in diese Kategorie fallen. Als höflicher Mensch nenne ich keine Namen. :)
Worum es mir mit diesem Post geht, ist schlecht recherchierter Schmierenjournalismus. Wenn zum Beispiel eine Agentur eine absurde Analyse einer Statistik anfertigt, diese kritiklos von einem Dutzend Publikationen übernommen wird und anschließend eine weitere Publikation schreibt "VIELE sagen ja, das Second Life dem Tode geweiht ist", dann zeigt das, wie (professionelle) Medien funktionieren und hat mit Analyse und Recherche wenig zu tun.
Und wenn eine andere Publikation die LA Times zitiert und titelt, dass sich Unternehmen IN SCHAREN aus Second Life zurückziehen, weil vier oder fünf Unternehmen von ihren Ergebnissen enttäuscht sind - während gleichzeitig fast jeden Tag ein weiteres Unternehmen Projekt(e) startet - ist das ebenfalls nicht gerade "seriöse Berichterstattung" ...
Ich wünsche mir einfach mehr von genau dieser seriösen und sachlichen Berichterstattung und weniger "saftige Headlines", weniger Hype - egal ob hochjubelnden oder kaputtschreibenden. Immerhin reden wir hier von Publikationen, die für sich in Anspruch nehmen, Fachzeitschriften zu sein, oder seriöse Tageszeitungen und nicht Boulevardblätter.
Posted by: Markus Breuer (Pham Neutra) | Tuesday, 17 July 2007 at 19:44
Hier fand ich einen recht ausgewogenen Artikel aus derStandard. http://derstandard.at/?url=/?id=2958643
Posted by: Michael Wald | Wednesday, 18 July 2007 at 16:14
Anmerkungen zu einem Hype von Christof Fischoeder, Associate Director Weber Shandwick, Berlin
http://www.kommunikationsverband.de/aktuelles/details/62
@markus
ich hoffe nicht zu nerven mit meinen Hinweisen =)
Posted by: Michael Wald | Wednesday, 25 July 2007 at 17:59
ENDLICH, es geht auch anders ;-)
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25798/1.html
Posted by: Michael Wald | Thursday, 02 August 2007 at 21:03