Wer nicht unter einem Stein lebt, wird in den letzten Tagen ja gehört haben, dass Apple ein neues Produkt names iPad vorgestellt hat und eine lebhafte Diskussion darüber entbrannt ist, ob das wieder ein Erfolg wird oder es vielleicht besser kein Erfolg werden sollte. Soweit so gut. Was mir in diesem Zusammenhang aber wirklich unangenehm aufgestossen ist, ist, wie diese Diskussion geführt wurde, mit welcher Vehemenz, mit wieviel Emotion und Unerbittlichkeit. Das gab mir zu denken ... hat das nur mit dem Medium "online" zu tun? Oder was steckt dahinter?
Sozialverhalten in Online-Diskussionen
Wie dem Einen oder Anderen meiner Leser bekannt ist, bin ich ja ein großer Freund der Online-Kommunikation. Ich würde aber niemals verneinen, dass sie auch auch paar negative Aspekte hat. Einer davon ist sicherlich, dass manchen Zeitgenossen die Einhaltung selbst der einfachsten Höflichkeitkeitsformen online noch schwerer fällt als bei physischen Begegnungen. Das ist von anderen schon genug beklagt - und erläutert - worden. Es gibt offensichtlich einfache psychologische Mechanismen, die das erklären.
Die Diktatur der Mehrheit treibt online ebenfalls merkwürdige Blüten. Obwohl es im Web für jeden Einzelnen viel leichter ist, sich Gehör zu verschaffen, ist es für "die Mehrheit" auch einfacher, ihn platt zu machen. Aufgefallen ist mir das in diesem Zusammenhang letzte Woche in den Kommentarspalten von Engadget an. Die haben dort ja die durchaus nette Funktion, das man andere Kommentare mit [+] oder [-] be-voten kann. Dabei werden Kommentare, ab einem gewissen Negativ-Saldo gar nicht dargestellt - ihre Existenz aber erwähnt.
Wenn man sich einmal die Artikel anschaut, die dort unter anderem das Thema Tablet-PC oder gar iPad tangieren und sich dann die ausgeblendeten Kommentare anzeigen lässt (das kann man manuell immer noch machen), stellt man fest, das es reicht, irgendetwas Positives zu Apple zu sagen - oder auch nur die Meinung zu äußern, dass ein anderer Kommentar vielleicht übermäßig kritisch war - und der Beitrag wird innerhalb von wenigen Minuten ins Nirvana gevotet ;-) In einer physischen Diskussion würde man das "Niederschreien" nennen.
Das ist in den letzten Tagen so extrem geworden, dass Engadget seine Kommentarfunktion abgeschaltet hat: http://www.engadget.com/2010/02/02/were-turning-comments-off-for-a-bit/ (Siehe auch den folgenden Artikel bei Netzwertig.) Und das will was heißen. Das ist in etwa das Selbe, als würde in Deutschland Heise seine Foren lahmlegen. Das gäbe eine Revolution in allen IT-Abteilungen deutscher Unternehmen.
Produkt oder Marke als Religion und identitätsstiftendes Element
Aber ich denke, der "Faktor online" allein erklärt die Vehemenz und die Intensität der (vor allem der negativen) Emotionen nicht. Woher genau kommt bei einigen der besonders lautstarken Kritiker der Zorn (und manchmal geradezu Hass) auf ein Produkt, dass sie sich gar gar nicht zu kaufen gedenken? Das erinnert schon in gewissem Maße an religiöse Auseinandersetzungen. Ich habe vorher noch nie erlebt, dass Käufern einer Marke von Konsumenten anderer Hersteller die geistige Gesundheit oder Befähigung am sozialen Miteinander abgesprochen wurde, sobald sie zum Beispiel sagen "also ich kaufe meine Anzüge am liebsten von Dressler". Irgendetwas Merkwürdiges geht hier ab. Irgendwelche Urängste müssen bei diesem Menschen angesprochen werden.
Andreas Göldi hat mich in einem Kommentar zu seinem sehr lesenswerten Beitrag Warum Apple in einer anderen Liga spielt auf den Artikel von Paul Graham aufmerksam gemacht: Keep Your Identity Small Dort wird die These vertreten, dass es deshalb sinnlos ist, über Politik oder Religion diskutieren zu wollen - obwohl das gerne getan wird - weil diese Glaubensmuster Teil der empfundenen Identität der Menschen sind. Wer eine andere Meinung vertritt, greift also meine Identität an! Da hört's dann mit der Sachlichkeit auf und die Emotionen schwappen über. Andreas Göldi meint nun, dass für manche Menschen die Entscheidung für Apple, Microsoft oder Linux, für "offene Systeme" oder solche mit maximalem Komfort inzwischen Teil der Weltanschauung (wie Politik und Religion) geworden ist. Ich musste da erst schmunzeln aber ... vielleicht ist das wirklich so: Marke (oder System) als Ersatz für Religion in einer ansonsten zunehmend agnostischen Welt. Zumindest wäre das kein ganz unplausibles Erklärungsmodell für Einiges, was ich in den letzten Tagen online lesen konnte.
Und Steve Jobs ist dann der Antichrist ;-)
Posted via email from _notizen
das konsum-entscheidungen teil der identität werden - das ist nichts neues: siehe der extrem identitäts-stiftende konsum in jugendkulturen (popper & vespa, rapper & ihre sneaker-marken). und zu meinen grundschul-zeiten war sogar die marke des füllers ( geha oder pelikano?) ein grund für grabenkämpfe... ;O)
Posted by: frank krings | Monday, 08 February 2010 at 00:55