Als (einigermaßen) standhafter Agnostiker stehe ich auf der emotionalen Ebene immer recht ratlos vor wirklich "gläubigen" Menschen. Rein rational verstehe ich natürlich die Prozesse, die in solchen Gehirnen vorgehen und die evolutionären und pragmatischen Vorteile, die dazu geführt haben, Glauben - selbst militanten Glauben - zu etablieren. Emotional ist das schon schwieriger. Insbesondere, wenn Gläubige mich davon überzeugen wollen, dass sie nicht glauben sondern wissen.
Aber: Jeder Mensch hat eine Vielzahl von Glaubensmustern - der Autor dieser Zeilen schließt sich da ganz bewußt ein. Alles andere wäre ineffizient. Würden wir ständig alles und jeden hinterfragen, würde nicht mehr viel Produktives in der Welt geschehen. Vernünftige Menschen sind sich ihrer Glaubensmuster (weitgehend) bewußt, verwechseln sie nicht mit Gewißheit, wissen, dass andere Menschen mit genau so viel Recht anderes glauben können und lassen sich ab und an davon überzeugen, dass ihre Glaubensmuster falsch waren. Letzteres ist natürlich selten - und sehr schwer zu erzwingen. Es ist die Eigenschaft von Glaubensmustern, dass sie ein gewisses Beharrungsvermögen haben - sonst bräuchte man sie ja nicht.
Glaubensmuster sind nicht notwendigerweise etwas spirituelles. Viele Menschen glauben zum Beispiel, dass ihre persönlich Wahl einer bestimmten Produktmarke stattgefunden hat, weil die gewählte Marke einfach die Beste ist. Sie verteidigen diese Wahl mit Zähnen und Klauen - denn sonst hätten sie ja Geld für das "nicht beste" Produkt ausgegeben. Wie peinlich. So etwas findet man bei Autos, Möbeln, Getränken, Schuhen, Sportgeräten ... und Computern. Geradezu legendär sind die Glaubenskriege zwischen Apple und Windows-Jüngern, die seit nunmehr über 20 Jahren toben. Nicht vergessen: es gab einmal eine Zeit, da gab es noch mehr heilige Geräte: Atari, Amiga und so weiter. Alle aber schon lange zwischen den Fronten zerrieben und nahezu ausgerottet.
Ich muss mich in diesem Glaubenskriegen etwas bedeckt halten. Seit nunmehr rund 20 Jahren nutze ich Mac OS und Windows nahezu täglich parallel und habe in der Zwischenzeit so meine Erfahrungen mit Atari, Amiga, Unix und Linux gemacht. So einer wie ich wird ja gerne von allen Konfliktparteien des Verrätertums geziehen. Was mich dieser lange und entbehrungsreiche Krieg aber auf alle Fälle gelehrt hat: Überläufer kommen zwar vor, sind aber selten. Und sicherlich kann man sie kaum mit Angeboten wie "testdrive a Mac/Windows PC" gewinnen - auch, wenn es solche Aktionen immer wieder einmal im kleinen oder großen Maßstab gibt.
Andererseits: In den Agenturen, die sich solche Aktionen einfallen lassen, sind ja hochqualifizierte Leute, die eigentlich wissen (sollten), was sie tun. Hoffentlich. Mir fällt es immer schwer zu glauben (sic), dass man einen Gläubigen davon überzeugen kann, seinem Glauben abzuschwören, indem man ihn einen anderen Glauben erfahren läßt. Das mag in Einzelfällen funktionieren, ggf. unter Einsatz drastischer Methoden - siehe das (leider nicht belegbare) Beispiel Saulus/Paulus. Im Schnitt neigen Gläubige aber gerade unter äußerem Überzeugungsdruck dazu, besonders glaubensfest zu werden.
Ein schönes Beispiel dafür ist der bekannte deutsche Top-Blogger Robert, dem scheinbar kürzlich ein MacBook Pro aufgedrängt wurde, frei nach dem Muster "Wenn er es denn mal live und in Farbe testet, MUSS er doch einsehen, dass ..." Muss er nicht! ;) Liesst man Robert's Testprotokolle, kann man als Fazit herauslesen: eine schöne Fernbedienung hat das Teil - aber Vieles in der Handhabung ist ja GANZ ANDERS als bei Windows. Total unpraktisch. Von wegen 'benutzerfreundlich'! Die spinnen, die Apple-Jünger."
War anderes zu erwarten? Nun ja ... Gegenfrage: Würde man einen Kölner Katholiken testweise 4 Wochen lang am Gemeindeleben einer moslemischen Gemeinde in Berlin teilhaben lassen, wie hoch wäre wohl die Wahrscheinlichkeit, dass der Mann zum Islam konvertiert?
btw: Das soll keine Attacke gegen den sehr geschätzten Robert Basic sein. Ich zweifle keinen Moment daran, dass sich der durchschnittliche Mac-Jünger nicht groß anders verhalten würde.
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